Pressestimmen

Im Laufe der Jahre ist die Presse mehrfach auf meine Arbeit aufmerksam geworden.
Die Texte davon möchte ich Ihnen hier präsentieren.

Boxen öffnet Männer-Seelen

Boxen ist Sport, aber kein Spaß. „Ein Boxer”, so schreibt die amerikanische Schriftstellerin Joyce Carol Oates, „bringt alles in den Kampf ein, was er ist, und alles wird sich erbarmungslos zeigen, auch das Geheimste, was nicht einmal er selbst über sich weiß.”

Vor diesem Hintergrund leuchtet Kai Hoffmanns Idee sofort ein, das Boxen zum Ausgangspunkt eines psychoanalytisch grundierten Management-Trainings zu machen. Ein erfahrener Boxtrainer lernt aus dem Verhalten seines Schülers im Ring sehr schnell und sehr viel über dessen Charakter. Ein boxender Manager offenbart, schreibt Kai Hoffmann, „unweigerlich Verhaltensmuster und die dahinter liegenden seelischen Strukturen”. Und auf dieser Grundlage läßt sich dann aufbauen.

Der wahre Kampf

Manager müssen austeilen können, aber auch mal einen Tiefschlag einstecken. Wo läßt sich das besser üben als im Boxring? Willkommen zu „the real fight”!

Es ist ein kurzer Weg vom Londoner Börsenring zum Boxring im Grange City Hotel, doch ein langer für die Makler, die am „City Broker Summer Bash” in diesen Ring gestiegen sind. Es ist ein Weg der Askese, bestehend aus mehrmonatigem Training, Verzicht auf Alkohol und Nikotin. Und ein Weg des Schmerzes, der im Ring seine Verdichtung erlebt. Denn in einem Boxkeller beim Sparring sich die Nase brechen zu lassen, das ist eines. Wenn dabei aber die Arbeitskollegen zuschauen und kubanische Zigarren rauchen, dann ist das eine andere Geschichte. Entsprechend sind nicht allzu viele Männer bereit, in diesem Ring des Real Fight Club zu boxen. 14 treten gegeneinander an, fast alle sind Broker.

Es gibt im Real Fight Club keine Punktrichter und folglich weder offizielle Gewinner noch Verlierer. Ein Arzt steht neben dem Ring, und die Boxer können den Kampf jederzeit abbrechen. Trotzdem kommt es gelegentlich zu einer gebrochenen Nase oder Rippe. „Das gehört einfach zum Boxen”, sagt der Venture-Capital-Spezialist Adrian King, der die Kämpfe seit knapp drei Jahren organisiert. Zwei K.o. habe es während der dreißig von ihm organisierten Kampfabende gegeben, sagt King. Einer der beiden K.o. gelang einst Stuart „Lefty” Leigh, Broker bei GFI. Der 38-jährige Linksausleger hatte schon als Jugendlicher geboxt, und als er vom Real Fight Club hörte, motivierte ihn dies, wieder mit dem Training anzufangen. Leigh sagt: „Boxen und Börse haben eine Gemeinsamkeit: Du darfst dich nicht unterkriegen lassen.” Leigh läßt sich nicht unterkriegen. Im Job nicht, sonst wäre er nicht seit 1988 Broker. Und im Boxring nicht. Sein Kampf gegen Roger „Superdodge” Cue von Steamship Insurance Management eröffnet den Abend. Leigh zeigt sich als beweglicher Puncher, der den Nahkampf zum größeren „Superdodge” sucht. Er dominiert die drei Runden. Die 25 Zuschauer, die seinetwegen an den Kampfabend gekommen sind, applaudieren so sehr, daß die Weingläser auf den Tischen zittern. Der Einzelsport Boxen wird so zum sozialen Event: Einer kämpft. Und die anderen fiebern mit.

Natürlich ist es ein Unterschied, ob einer wie Mike Tyson in den Ring steigt, um Schuldenberge abzubauen, oder Leigh, der sich an der Londoner Börse dumm und dämlich verdient. Leigh kämpft, weil er eine Herausforderung sucht. Weil er alles hat in seinem Leben: Geld, Sicherheit, Familie. Boxen ist seine Eskapade, sein Thrill. Andererseits ist Boxen mehr als ein schneller Adrenalinkick. Niemand kann einfach so aus einer Laune heraus in den Ring steigen, so wie man sich spontan für einen BungeeJump entscheiden kann. Boxen erfordert Disziplin. Wer nicht hart trainiert, den straft das Leben beziehungsweise der Gegner.

Entstanden ist die Idee des Manager-Boxens vor 15 Jahren in New York. Um eine Bürokeilerei zwischen zwei zerstrittenen CEOs zu verhindern, einigte man sich darauf, den Konflikt nach einem sechsmonatigen Aufbautraining im Boxring auszutragen. Über tausend Angestellte gingen hin. Das Blut floß in Strömen. Der Konflikt war nach der Prügelei bereinigt, das White Collar Boxing entstanden. Beim White Collar Boxing steigen Manager im Gleason’s Gym in Brooklin in den Ring, in dem schon Muhammed Ali, Joe Frazier und Marvin Hagler trainiert haben. Daraufhin wurde in England der Real Fight Club gegründet, in dem jeweils eine amerikanische Mannschaft gegen eine Londoner Auswahl antrat. Im Mutterland des Boxens ist dies bestens angekommen, wobei die Begeisterung nicht von ungefähr kommt: An Eliteuniversitäten wie Oxford oder Cambridge wird seit jeher geboxt, und das Boxen ist in der Biographie mancher CEOs und Manager zu finden. Die „Financial Times” schrieb: „White Collar Boxing is the new Golf.”

Wer gegen wen antritt, wird nicht ausschließlich von Gewichtsklassen wie im Amateur- und Profiboxen bestimmt, sondern von vielfältigen Kriterien wie Fitneßgrad, Alter, Ambitionen und Boxerfahrung. Als ältester Kämpfer sei einmal ein 55-jähriger Finanzberater in den Ring gestiegen, sagt Adrian King, und diesem habe er natürlich nicht einen 25-jährigen Haudegen gegenüberstellen können. „Doch wenn ein junger, aggressiver Broker seinem Chef Eindruck machen will, können wir ihn auch gegen einen harten Oxford-Studenten antreten lassen. Das gibt klasse Fights.” Adrian King hat in seiner Kartei etwa 2.000 Kämpfer, die meisten davon in London, die meisten Kaderleute. Wenn nun ein Banker plötzlich nach Zürich jetten muß, dann hat King innert Kürze einen Ersatzkämpfer aufzutreiben.

Auch am City Broker Summer Bash hat einer kurz vor Kampfbeginn abgesagt; King hat als Ersatz einen gut zwei Meter großen, glatzköpfigen Feuerwehrmann mit der Figur eines ukrainischen Ringers geholt. Ein Typ, dem man nachts nicht in einer dunkeln Seitenstrasse begegnen möchte. Und auch nicht im Ring. Genau dies wagte Ian „The Mersey Beast” McDonald (34), Broker bei Numis Securities, ein stämmiger Bursche, ursprünglich aus Liverpool. Als sich die beiden dann im Ring gegenüberstanden, machten sich einige Zuschauer Sorgen um McDonald. Doch der Anblick der Körper mag beim Boxen gelegentlich täuschen: Es gewinnen nicht unbedingt die Typen mit den stählernen Muskeln. Nachdem der Gong erklungen war, ging McDonald wie eine Dampfwalze auf den Feuerwehrmann los. Immer wenn seine schweren Haken den Feuerwehrmann trafen, hörte man ein dumpfes Klatschen, bei dem jeder, der selbst einmal geboxt hatte, nachhaltige Kopfschmerzen kriegte. Und jedes Mal, wenn man das Klatschen hörte – man hörte es oft -, schien der mächtige Körper des Feuerwehrmanns zu schrumpfen. Doch auch McDonald kam in den drei Runden an die Grenzen. „Ich geh nie mehr in den Ring”, sagte der Erschöpfte nach dem Kampf. Er küßte seine Geliebte, schaute zum Ring und sagte dann: „Aber das habe ich nach meinen bisherigen drei Kämpfen auch schon gesagt.”

Adrian King sucht zurzeit in anderen Ländern Partner für den Real Fight Club: Kämpfe in Dublin und Dubai sind in Planung, Südafrika, Singapur und Australien tastet er ab. Deutschland oder die Schweiz wäre heiß, sagt er. Um sich ein Bild der Begeisterungsfähigkeit der Deutschen machen zu können, wird er im Frühjahr 2005 eine deutsche Auswahl nach London fliegen lassen. Es beschäftigt ihn, ob er namhafte Wirtschaftsleute in den Ring kriegt, zumal die Masse ihn nicht wirklich interessiert. Zwar geht die deutsche Wirtschaftselite gerne zum Boxen, allerdings wird dabei der Sitzplatz am Ring bevorzugt, anstatt sich drinnen die Nase platt schlagen zu lassen. Bei der Kampfbereitschaft zeigt sich auch die unterschiedliche Mentalität: Während man in der angelsächsischen Welt tendenziell das Risiko schätzt, setzt man im deutschsprachigen Raum eher auf Sicherheit.

Die Kämpfe finden wie der City Broker Summer Bash in Fünfsternehotels statt; die rund 300 Zuschauer bezahlen einen Eintrittspreis von 130 Pfund, inklusive Mehrgangmenü. Dann gibt es Kämpfe in Lagerhallen, wo Boxfans von East End oder Brixton für 25 Pfund hingehen. So kann Adrian King den Real Fight Club in der authentischen Boxwelt erden, was fürs Aufbautraining der Manager wichtig ist. Denn die Manager trainieren nicht in luxuriösen Sportclubs, sondern in traditionellen Gyms, und das mehrmals wöchentlich während rund sechs Monaten.

Die Taktik des Kneipenschlägers „Awesome” Alex „Exc”-Ells (25), der nun zum ersten Mal in den Ring steigt, hat sich nur gerade zwei Monate auf den Kampf vorbereitet – das ist ziemlich wenig Zeit. Immerhin ist dem Broker bei der Deutschen Bank in London als Rugby-Spieler harter Körpereinsatz kein Fremdwort. Und dieser ist allemal vonnöten. Ganz besonders, wenn der Gegner einen Übernamen wie „The Body Snatcher” hat. Hinter dem gefährlichen Namen verbirgt sich eine gefährliche Taktik: die des Kneipenschlägers. Der „Body Snatcher” überrollt Alex mit Kettenfäusten, er schlägt und schlägt und schlägt und läßt Alex keinen Raum, seine im Schnellgang erlernte Technik zu entfalten. Doch Alex zeigt Nehmerqualitäten. Und er ist der Held des Abends. Er begeistert die Frauen wie kein anderer. Eine so sehr, daß sie in der Kampfpause gleich in den Ring steigen will. Mehrere Männer zerren die Frau im Minirock aus den Seilen heraus.

Die Faszination der Zuschauer hängt mit dieser direkten körperlichen Konfliktsituation zusammen; wenn man hier nur Tischtennis spielte, käme wohl kein Mensch, um zuzuschauen. Wer kämpft, entblößt sich, und das nicht nur körperlich. Denn in den Ring zu steigen, bedeutet auch, Sicherheiten abzulegen und gewissermaßen die Zivilisation zu verlassen. Die amerikanische Schriftstellerin Carol Joyce Oates verglich den Boxring einmal mit einem Altar, einem Ort, an dem die Gesetze des Staates aufgehoben seien: „Innerhalb des Rings ist es möglich, daß ein Mann getötet wird, aber ermordet wird er nicht.”

Nun gut, im Real Fight Club wird keiner getötet. Und im Gegensatz zum Film „Fight Club” auch nicht halb totgeschlagen. Aber man muß nur halbwegs etwas vom Boxen verstehen, um festzustellen, daß hier richtig gekämpft wird. Und daß es bei Brokern besonders hart zur Sache geht, liegt in der Natur der Sache. Denn der Broker betritt im Boxring eine vertraute und zugleich fremde Welt. Vertraut ist ihm das verschärfte Klima des Wettbewerbs, neu, dies körperlich zu erleben. Das abstrakte Machtspiel am Börsenring wird im Boxring körperlich ausgetragen, was einem Bruch mit einigen zivilisatorischen Etiketten gleichkommt, nicht aber mit dem Wettbewerbsprinzip. Am Morgen nach dem Kampf im Boxring geht der Kampf am Börsenring weiter. Eines bleibt: das blaue Auge, ein Symbol der realen Welterfahrung, das von einer alten Geschichte erzählt, vom Kampf zweier Männer.

Francis Müller

Wer kämpft, lügt nicht

Bilanz: Was hat ein Manager im Boxring verloren?

Kai Hoffmann: Er erfährt beim Boxen durch die Nähe zum Gegner Box-Coach eine neue Intensität des Konflikts. Es geht also um eine neue Form der Selbsterfahrung. Man muß im Ring spontan reagieren und den Intellekt ausschalten. Das kognitive System wird heruntergefahren, das limbische wird aktiv.

Bilanz: Zeigt sich das wahre Ich nur im Kampf?

Kai Hoffmann: Der Charakter eines Menschen bildet sich vornehmlich aus dem Umgang mit seinen Ängsten. Und er ist körperlich fundiert, was sich hinter der alltäglichen Etikette gut verdecken läßt. Im direkten Kampf kann man nichts vorspielen. Wer kämpft, lügt nicht. Somit erlebt der Manager im Boxring eine Ausnahmesituation seines Charakters.

Bilanz: Wie kann der Erfahrungsprozeß im Konkreten aussehen?

Kai Hoffmann: Ich hatte kürzlich einen Manager im Training, der immer zu allem Ja gesagt hatte. Im Boxring war er überwältigt vom Gefühl, angreifen zu können. Und er konnte dann auch mal in der Arbeitswelt argumentativ nachhaken, ohne beim ersten Widerstand nachzugeben.

Bilanz: Welche Rolle spielt der Gegner in diesem Selbsterfahrungsprozeß?

Kai Hoffmann: Man muß den Gegner intuitiv erahnen können. Jedoch ist dieser Gegner oftmals eine eigene Projektion. Wenn ich etwa meine Wut verdränge, dann projiziere ich sie automatisch auf den anderen, womit jener stärker wird. Wir konstruieren die Welt – und unsere Gegner.

Bilanz: Erlangen wir Weisheit, indem wir uns das Nasenbein brechen lassen?

Kai Hoffmann: Wenn ich einen Manager beim Training beim ersten Mal treffe, dann nimmt er das oft persönlich. Doch im Boxring bleibt die persönliche Integrität erhalten, auch wenn man getroffen wird. Das ist eine wichtige Erfahrung, auch für Manager.

Boxen statt Golfen

Als psychotherapeutischer Berater schickt Kai Hoffmann Manager in den Boxring. Über seine Erfahrungen hat der Frankfurter ein Buch geschrieben. Im Gespräch verrät er, daß Boxen Blockaden beseitigt.

Bücher: Warum Boxen?

Kai Hoffmann: Mir fielen Irgendwann die Kommentare meines eigenen Boxtrainers auf: Du mußtest dich früher nicht durchsetzen, deshalb fehlt dir der Biß. Wenn du unter Druck gerätst, machst du Fehler – und solche Sachen. Das Verhalten im Ring zeigt, wie sich Leute im richtigen Leben behaupten.

Bücher: Was lernen Manager beim Boxen?

Kai Hoffmann: Sich selbst kennen. Ein Leben lang antrainierte Verhaltensmuster werden sichtbar – man muß immer artig sein, darf keine Widerworte geben etc. Im Ring überlisten sich meine Klienten quasi selbst. Sie müssen schnell und instinktiv reagieren. Und sie haben die Erlaubnis offensiv zu sein.

Bücher: Boxen und Managen – die Kombination bedient perfekt das Klischee vom stahlharten Boss…

Kai Hoffmann: Ich coache meine Klienten nicht, damit sie stahlhart werden. Ich nutze das Training, um herauszufinden, was sie im Geschäftsalltag behindert. Sie sollen keine anderen Typen werden, sondern Ihre Reaktionspalette erweitern.

Bücher: Werden Geschäfte künftig in Boxhallen statt auf Golfplätzen geschlossen?

Kai Hoffmann: So weit sind die Deutschen noch nicht. In England ist der Sport schon fest in der Geschäftswelt etabliert. Da boxen ganze Abteilungen gegeneinander.

Der andere ist nicht auf der Welt, um mich zu lieben

Der Philosoph und Psychoanalytiker Kai Hoffmann steigt mit Managern in den Boxring. Dort lernen diese, ihr Gegenüber und sich selber genau zu erkennen und sportlich mit Angriffen umzugehen. Wenn es die Situation erfordert, schlägt Hoffmann auch mal einen Manager k.o. – und erntet dafür Dankbarkeit.

Der Bund: Herr Hoffmann, Sie haben Philosophie und Psychoanalyse studiert und führen Manager in den Boxring. Seit wann schlägt Ihr Herz fürs Boxen?

Kai Hoffmann: Seit meiner Kindheit. Es machte mir schon immer Spaß, mich mit anderen Kindern zu raufen, auch dann noch, wenn Blut floß. Weil ich relativ oft verprügelt wurde, schickte mich meine Mutter in einen Judokurs. Dadurch veränderte sich meine Position auf dem Schulhof. Das Training verbesserte mein Körpergefühl und mein Selbstbewußtsein markant. Im Alter von 18 Jahren begann ich mit Boxen; vor ungefähr zehn Jahren entdeckte ich die Verbindung zur Psychoanalyse. Mein inzwischen verstorbener Trainer Robert Schwab, ein Eisenbahner ohne psychologisches Fachwissen, sagte mir während des Sparrings jeweils Dinge, die mir sonst niemand hätte sagen können. Er erkannte aufgrund meines Verhaltens im Ring, daß ich mich schlecht durchbeißen konnte, daß ich verwöhnt worden war in der Jugend, daß ich unter Druck falsch reagierte. Ich erfuhr am eigenen Leib, wie viel ein Mensch im Boxring von sich preisgibt.

Der Bund: Seither integrieren Sie das Boxen immer wieder in Ihre Coachings. Können Sie anhand eines Beispiels aufzeigen, was das dem Kunden bringt?

Kai Hoffmann: Ich arbeitete kürzlich mit einem Klienten, der in einer Großbank vom Teamleiter zum Abteilungschef befördert werden sollte. Er war fachlich hervorragend, konnte sich aber schlecht durchsetzen. Durch das Boxen fanden wir heraus, daß er ausgesprochen konfliktscheu war, daß er sich stets fürchtete, verletzt zu werden. Seine Mutter hatte ihm während Jahren gesagt, er solle sich nicht schlagen, der Klügere gebe stets nach usw. Verletzt zu werden, wurde für ihn zum kognitiven Tabu. Erst im Ring konnte er aus dem eingeübten Verhalten ausbrechen und sich exponieren. Er forderte mich sogar auf, richtig zuzuschlagen. Das tat ich dann auch, worauf er k.o. ging…

Der Bund: …und dafür zahlte er Ihnen auch noch Geld?

Kai Hoffmann: (Lacht.) Ja, klar. Ein Knock-out ist ja keine gefährliche Sache, sondern eine kurze, durchaus angenehme Ohnmacht. Mein Kunde erlebte diesen Moment als wohltuend und befreiend. Mit dem Tiefschlag wurde ein Tabu durchbrochen, er wußte von da an, daß es nicht schlimm war, sich zu exponieren und getroffen zu werden. Fortan war er ausgesprochen konfliktfreudig, seine Durchsetzungskraft wuchs an.

Der Bund: In Amerika treten regelmäßig Chefs konkurrierender Firmen im Ring gegeneinander an. Wünschten Sie sich solche Kämpfe auch in Europa?

Kai Hoffmann: Wir müssen unterscheiden zwischen Boxen als Wettkampf und Boxen als Bestandteil eines Coachings. Das Managerboxen entstand 1989 in Amerika, weil zwei Chefs verfeindeter Versicherungsunternehmen in einem noblen Büro beinahe handgreiflich geworden wären. Sie ließen sich schließlich dazu überreden, nicht in blinder Wut zuzuschlagen, sondern nach sechs Monaten Training gegeneinander in den Ring zu steigen. Nach dem blutigen Kampf kam es zum Schulterschluß der beiden Männer – eine Tradition, die in New York und London noch heute stark ist, war geboren. In Deutschland und der Schweiz treten leider noch keine Firmenchefs gegeneinander an. Aber als Bestandteil eines Coachings ist Boxen auch hier beliebt.

Der Bund: Setzen Sie Boxen zur Tessinbildung ein oder zur Persönlichkeitsschulung?

Kai Hoffmann: Beides. Boxen kann helfen, kognitive Blockaden abzubauen. Kürzlich vertraute mir ein Bankchef an, seine Bereichsleiter hätten übertriebenen Respekt, ja Angst vor ihm. Die körperliche Begegnung im Boxring entkrampfte das Verhältnis sehr rasch. Aber in erster Linie heißt Boxen sich selber kennen lernen, es ist also ein Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung und damit auch zu besserem Führen: Wer sich selber nicht kennt, schätzt andere Menschen häufig falsch ein. Einmal stand ich mit einem Topmanager im Ring, der mit brachialer Gewalt auf mich los ging. Ich merkte sofort: Der nimmt mich kaum wahr. Entsprechend anfällig war er für meine Gegenangriffe. So spürte der Manager am eigenen Leib, daß er nur erfolgreich sein kann, wenn es ihm gelingt, sich empathisch auf den Gegner einzustellen, dessen Denken und dessen Technik zu verstehen.

Der Bund: Die Empathie ist im Boxen dem höheren Zweck des Niederschlags untergeordnet. Stimmt da die Parallele zum Management?

Kai Hoffmann: Durchaus. Es geht stets darum, sich zu konzentrieren, ein Ziel konsequent zu verfolgen und am Ende ein bißchen besser zu sein als der Konkurrent. Der Ring ist dafür ein gutes Übungsfeld, denn hier sind wir allein für den Erfolg verantwortlich, während im Geschäftsalltag viele externe Einflußfaktoren geltend gemacht werden können. Das Boxen lehrt uns, einen Mittelweg zwischen Fremdbestimmung und gesundem Egoismus zu gehen, es zeigt uns, wie wir mit gutem Gefühl unsere Interessen durchsetzen können. Boxer verfügen über eine Fähigkeit, die vielen Managern fehlt: sportlich mit Angriffen umzugehen. Nach jedem noch so harten Kampf umarmen sich die Boxer. Sie wissen, daß die harten Angriffe keine persönlichen Angriffe sind. Manager, die im Ring gestanden sind, tun sich leichter damit, zwischen der Sachebene und der persönlichen Ebene zu trennen.

Der Bund: Verlieren sie dadurch auch die verbreitete Angst vor Entscheidungen?

Kai Hoffmann: Das Boxen lehrt sie, mit der Angst zu arbeiten, nicht gegen sie. In den Chefetagen ist Angst meist heimlich, verdeckt, maskiert, verleugnet wirksam. Der Zwang, die Angst hinter einer „Hard-Hero-Maske” zu verstecken, potenziert diese Angst. Oft ist es die Angst vor der Angst, die zu Fehlern führt. Jeder, der einmal geboxt hat, weiß: Ohne Angst geht es nicht, die Angst ist im Boxen und im Management ebenso wichtig wie das Lampenfieber für den Schauspieler.

Der Bund: Wodurch zeichnen sich gute Führungskräfte im Umgang mit Angst aus?

Kai Hoffmann: Dadurch, daß sie keine übertriebene Angst vor Ablehnung und Liebesentzug haben. Irgendwann muß sich jeder klar werden: Der andere ist nicht auf der Welt, um mich zu lieben. Entsprechend darf Anerkennung nicht die einzige Tankstelle für das Selbstwertgefühl sein. Wer geschätzt und nicht nur gemocht werden will, muß bereit sein, dafür einen Preis zu zahlen. Wer nicht riskiert, abgelehnt zu werden, wird niemals voll respektiert. Beim Boxen kann ich erfahren, daß die Schläge meinen Körper treffen, nicht mein Selbst. Diese Unterscheidung hilft mir, freier zu werden von Anerkennung und Kritik.

Das Interview führte
Mathias Morgenthaler

Stoff zum Denken

Unternehmensberater Kai Hoffmann schickt seine Klienten in den Boxring. Die Bewährungsprobe nimmt ihnen Angst – auch vor alltäglichen Konflikten. Sie trainiert die Balance aus Angriff und Verteidigung.

Die Lehre: Nur wer sich dem Kampf stellt, gewinnt Selbstvertrauen und kann seine Position durchsetzen.

Davon profitiert auch der Leser, der nicht physisch, sondern mit Argumenten angreifen will.

Vom Boxring in die Führungsetage

Sich immer neuen Situationen stellen und dazu lernen um erfolgreich zu sein – der tägliche Führungsalltag also. Zumindest im Idealfall. Einen bemerkenswerten Aspekt in Richtung Persönlichkeits- und Führungskräfteentwicklung bringt der deutsche Berater und Coach Kai Hoffmann aufs Tapet: Boxen und Managen.

Wer boxt, kann getroffen werden. Wer lebt und handelt, kann ebenfalls getroffen werden. Jeder Boxer hat deswegen Angst, wie die meisten Menschen auch. Und gerade dieser Angst muß man sich im Boxring stellen und einen persönlichen Weg des Umgangs mit ihr finden. Man lernt, wer man ist, wo man stark ist und wo man die Stärken am besten ausleben kann. „Wer als Manager boxen lernt, wird sich auf eine ganz neue Art und Weise entdecken, wird auf vielen Gebieten stärker werden – und vor allem besser und erfolgreicher führen lernen”, ist Kai Hoffmann überzeugt. Der studierte Philosoph und Psychoanalytiker boxt selbst und setzt in seiner Tätigkeit als Trainer und Berater die Methode des psychoanalytisch-systemischen Boxcoachings ein. Boxen steht für den Kampf des Menschen um sich selbst und trifft damit eigentlich ein Herzstück unserer Zeit: Die ständige Auseinandersetzung mit unvorhergesehenen Veränderungen und mit Geschwindigkeit, aber auch mit dem Bleiben und Mensch sein. Hier geht es um viel mehr als um den Kampf um den Sieg – erst im Konflikt zeigt sich der Charakter und das, was ein Mensch wirklich kann und was er ist. „Wer also von Veränderungen im Sinne des Change-Managements etwas lernen will. wird einem Boxkampf einiges abgewinnen können”, so Hoffmann. Vom Boxen lernen heißt vor allem, sich selbst kennen lernen. Wer sich selbst nicht kennt, schätzt andere Menschen oft falsch ein – und das kann gerade in Führungspositionen fatale Folgen haben. Je besser ein Chef die psychologischen Bedingungen menschlichen Miteinanders kennt, um so effektiver kann er als Führungskraft agieren.

Jeder Mensch boxt so, wie er psychisch gestrickt ist. Steigt ein Manager in den Ring und reagiert spontan auf Angriffe des Gegners bzw. Coaches, offenbart er unweigerlich sein Verhaltensmuster. Der Boxer handelt unter dem Echtheitsdruck des Konfliktes authentisch. Führungskräfte, die in ein normales Coaching kommen um sich beruflich zu verändern, persönlich weiter zu kommen, Schwierigkeiten mit Kollegen zu klären oder Führungsstrategien entwickeln wollen – zeigen nicht immer gleich ihre wahre Disposition. Jeder gibt gerne sein Idealbild vor, auf dem Klientensessel werden Rollen gespielt, Ängste verschwiegen, der eigentliche Kern des Problems zunächst einmal verschwiegen. Im Boxring geht es dagegen gleich zur Sache: Gestik und Körperhaltung, Reaktionen und Aktionen lassen mögliche seelischaffektive Dispositionen viel schneller klar werden. „Achtet ein Klient etwa nur auf die Technik, ist also krampfhaft bemüht, akkurat und fehlerfrei die Schlagkombinationen im möglichst richtigen Moment anzusetzen, und verliert dabei jegliche Übersicht über den Kampfverlauf und die Strategie des Gegners, ist zu vermuten: Der Mensch neigt zu Formalitäten, zum Perfektionismus, denkt eher in Strukturen statt in Prozessen, legt in der Arbeit mehr Wert darauf, die Dinge richtig zu machen, statt die richtigen Dinge zu tun”, bringt Kai Hoffmann ein Beispiel.

Noch eines wird im Boxring schnell deutlich: Wer nicht anecken will, kann nicht gewinnen. Ins Leben oder auf eine Führungsposition übertragen heißt das: Wer mit einer unangemessenen Nachsicht ausgestattet ist, wird rivalitätsscheu und meidet den Erfolgskampf und die Konkurrenz. weil Schuldgefühle ihm das Siegen verleiden. Im Boxring zögern solche Menschen den Angriff lange hinaus und wollen sicher gehen, daß der Gegner keine emotionale Rache übt. Sie haben mehr Angst davor, zu treffen, als getroffen zu werden. Das Boxtraining kann eine gesunde Aggressivität mobilisieren, gezieltes Coaching diese neue Kraft parallel dazu in die richtigen, konstruktiven Bahnen lenken. Auch dem Blickkontakt kommt im Boxring wie im echten Leben wesentliche Bedeutung zu: Ein ganz wichtiger Moment vor einem Boxkampf ist, wenn der Ringrichter die Gegner zusammen führt, die Regeln bekannt gibt und einen fairen Kampf fordert. Die Gegner schauen sich in die Augen – und dieser Moment entscheidet vieles, manchmal alles. „Ich habe in seine Augen geblickt und ein Verlierergesicht gesehen”, sagt Muhammad Ali, wenn er an den Kampf gegen Floyd Patterson denkt, dem er in diesem Kampf den Weltmeistertitel abgenommen hat. „Der Blick-Mechanismus ist einfach und weitreichend. Oft ersparen Blicke, um ihr Ziel zu erreichen, jedes Wort, weil der Blick ins Zentrum des Selbst dringt, wo die Sprache nicht funktioniert. Der Blick trifft die Wurzel unseres Seins”, erklärt Kai Hoffmann dazu. Beim Boxtraining lernt man nicht nur, mit einem gewissen Blick umzugehen, sondern auch, sich an alte Blick-Mechanismen zu erinnern und sie aufzulösen. Ein Beispiel: Wenn man als Kind etwas angestellt hatte, dann reichte oft der Blick des Vaters und sein Schweigen, daß man wie gelähmt, angewurzelt und voller Schuldbewußtsein war. Solche Szenen haben sich bei den meisten von uns eingebrannt – und werden etwa vom strengen Blick eines Vorgesetzten sofort wieder reaktiviert. In der Reflexion solcher Situationen wird klar, daß es oft Teil des persönlichen Lebensentwurfes ist, dem Gegenüber schon alleine aufgrund seines Blickes die stärkere Position zuzubilligen. „Im Boxring kann man das Blickkräfte-Messen als Technik üben. Man lernt nicht nur, dem kalten Blick des Chefs standzuhalten, sondern erkennt vielmehr, daß man hier Dinge interpretiert, die gar nicht der Realität entsprechen, sondern aus der eigenen Geschichte kommen”, so Hoffmann.

Gefühle aus dem Eiskeller

Engagiertes Mitdenken und -handeln sind Eigenschaften, die gepflegt werden wollen. Lieblos behandelt, so Wirtschaftspublizist Hartmund Volk, verwandeln sich Mitarbeiter außerordentlich schnell von aktiven Leistungsträgern in passive Betriebsstatisten.

Geht man mit wachen Sinnen durch Büros, Fabrikhallen, Werkstätten, Verkaufsräume, ist die Wahrheit dieser Tatsache nicht nur rasch, sondern häufig auch auf ganz bedrückende Weise zu erkennen. Menschen mit ausdruckslosen Gesichtern bewegen sich bleischwer und müde, hantieren lustlos herum. Die lähmende Atmosphäre innerer Kündigung macht sich dem aufmerksamen Beobachter auf beinahe schmerzhafte Weise bemerkbar. Bei der beinharten wirtschaftlichen Gangart ist das ein sehr brisanter Zustand für einen Betrieb.

Ohne Zweifel, die Gesamtheit der derzeitigen Arbeitsumstände als solche wirkt nicht gerade beflügelnd. Der enorme Druck, das Nicht-zur-Ruhe-Kommen, die permanente Unsicherheit und mehr und mehr auch die zwischenmenschliche Rivalität als Ausdruck knapp gewordener Arbeitsplätze drücken auf die Stimmung, entnervt und trägt viel dazu bei, die inneren Batterien immer schneller leer werden zu lassen.

Hinzu kommt: Viel zu sehr ist bis hinab zum jüngsten Lehrling jedem bewußt, daß sein Arbeitsplatz allem Einsatz zum Trotz morgen dem Kosten- und Konkurrenzdruck zum Opfer fallen kann.

Wirtschaftswissenschaftler sehen hier doch beträchtliche Gefahr für die so entscheidend wichtige instrinsische, also die aus einem Menschen selbst kommende Motivation heraufziehen. So sorgt sich Professor Dr. Werner R. Müller von der Abteilung Organisation, Führung und Personal am Wirtschaftswissenschaftlichen Zentrum der Universität Basel, „daß den Belegschaftsmitgliedern zunehmend zwei qualitativ völlig gegensätzliche und damit außerordentlich irritierende Botschaften vermittelt werden: Die eine wertet sie als unverzichtbare Leistungsträger auf und betont ihre Autonomie und Einzigartigkeit, die andere signalisiert ihnen eine zunehmende Abhängigkeit und Austauschbarkeit.” Das, konstatiert Müller, „macht nicht unbedingt Lust auf Leistung und animiert kaum dazu, die Interessen des Betriebes zu den eigenen zu machen, Kunden aufgeschlossen, einfühlsam und wirklich um sie bemüht entgegenzutreten und ein Wir-Gefühl zu entwickeln, das letztlich die eigentliche Basis für engagiertes, beherztes und vor allem auch verantwortungsbereites Mitdenken und -handeln ist!”

Doch wer die Menschen an ihren Arbeitsplätzen auf diese belastende Doppeldeutigkeit hin anspricht, dem wird Erstaunliches klar: Die heutige enorme berufliche Lebensunsicherheit, die Zwiespältigkeit, mit der das „Humankapital” vornehmlich als Kostenfaktor „Mensch” vor dem Hintergrund des Wettbewerbs in seiner ganzen herausfordernden Bandbreite mittlerweile gesehen wird, bedrückt, belastet und macht mental, also geistig-seelisch, müde, aber sie frustriert nicht zwangsläufig und treibt ebenso wenig zwangsläufig in die innere Kündigung.

Der lähmende Frust, die innere Kündigung und daraus resultierend die brisante Leistungszurückhaltung, so wird deutlich, ergibt sich „weit zuverlässiger”, wie der Zusammenarbeitsspezialist und Geschäftsführer der Unternehmensberatung Coverdale Deutschland, München, Thomas Weegen sagt, „aus sich wiederholenden, unmittelbar unguten Begegnungen…, aus einem Gefühl zwischenmenschlicher Kälte, aus einem beschädigten, nicht selten vollkommen desolaten, zerrütteten Verhältnis zum Vorgesetzten.”

Wie außerordentlich unbedarft in der Wirtschaft mit diesem Gefühlsmoment zu ihrem eigenen Nachteil umgegangen wird, verdeutlicht einer der derzeit subtilste Managementdenker, der Wirtschaftswissenschaftler und Psychologe Manfred Kets de Vries, Professor an der Business School INSEAD bei Paris und an der Harvard Business School. Mit Blick auf Führungskräfte und den einschlägigen Nachwuchs stellt er fest: „Intuition, Emotion und Subjektivität sehen sie irgendwo zwischen Wischiwaschi und Humbug, ohne zu erkennen, daß gerade die weichen Faktoren verdammt hart sein können. Zu viele Spezialisten bewerten Systeme und Strukturen höher als Menschen.”

Aus diesem Wissen heraus mahnt auch die Motivationspsychologin und Selbstmanagementexpertin Dr. Maja Storch von der Universität Zürich: „Für die erfolgreiche Führung eines Unternehmens ist es unter den heutigen Arbeitsumständen unverzichtbarer als je zuvor, sich die Bedeutung von Gefühlen für das Funktionieren eines Unternehmens bewußt zu machen. Um das emotionale Potential im Sinn der subjektiven Arbeitszufriedenheit und der Leistungsoptimierung nutzen zu können, muß endlich begriffen werden, daß Gefühle ein entscheidend wichtiger Antrieb sind, daß sie enorm viel mit Motivation, Leistungswilligkeit und Identifikation mit dem Betrieb zu tun haben.” Und sie fügt hinzu: „Dies setzt allerdings voraus, daß die Führungskräfte in der Lage sind, die emotionalen Signale ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter richtig zu deuten und entsprechend darauf zu reagieren!” Dazu gehört für Storch neben der unverzichtbaren Empathie, also dem Einfühlungsvermögen, unbedingt auch verstehendes Zuwenden. Denn nur dann, sagt sie, „haben Führungskräfte die Voraussetzungen, um geeignete Verhaltensweisen zu entwickeln, um die Mitarbeiter engagiert mit ins Boot zu bringen und dort auch zu halten.”

Daß Storch sich hier nicht in freundlich-wünschenswerten, letztlich aber doch realitätsfernen Wunschvorstellungen vergaloppiert, zeigt die Dissertation von Christine Scheitler „Soziale Kompetenz als strategischer Erfolgsfaktor für Führungskräfte”. Klipp und klar belegt die erfahrene Beraterin und Trainerin aus dem hessischen Braunfels darin, daß im Fokus der heutigen Unternehmenswirklichkeit eine neue Leadership-Qualität steht, die zu wesentlich höheren Anforderungen an moderne Führungskräfte führen wird, insbesondere im Bereich der sozialen und personalen, das heißt der Selbstführungs-Kompetenzen.

Deutlich und klar stellt Dr. Scheitler in den Schlußbetrachtungen ihrer Dissertation fest: „Waren noch vor ein oder zwei Jahrzehnten die fachlichen und methodischen Kompetenzen einer Führungskraft hinreichende Garantien für zukünftige Erfolge, sind es jetzt die Dispositionsbestimmungen für soziale und personale Kompetenzen.”

Dabei bilden die fachlichen und methodischen Kompetenzen weiterhin die Grundvoraussetzung für eine umfassende Handlungskompetenz, stellt Scheitler fest, um dann aber unmißverständlich darauf hinzuweisen, daß „soziale und personale Kompetenzen darüber hinaus einen wichtigen strategischen Erfolgsfaktor darstellen, um gesellschaftlichen, ökonomischen und technologischen Wandel zu erkennen, zu verkraften und im Miteinander zukunftsweisende Maßnahmen umzusetzen, die nicht nur das schlichte Überleben, sondern vor allem die Wandlungs- und Veränderungsfähigkeit eines Unternehmens und damit der beteiligten Menschen sichern.”

Doch mit diesen so notwendigen zwischenmenschlichen Kompetenzen ist es aber (noch) nicht weit her. „Die meisten Manager unternehmen rein gar nichts, um ein förderliches Klima herzustellen”, stellt Dr. Othmar Hill, Inhaber von Hill International, The Human Ressources Partner, Wien, einem international arbeitenden österreichischen Personalberatungsunternehmen, fest. Und setzt hinzu: „Das geschieht meist aus einem Konglomerat von Minderschätzung humaner Ressourcen, Unwissenheit über die Möglichkeiten psychohygienischer Interaktion und dem täglichen Druck operativer Ansprüche.”

Deshalb, konstatiert der kluge Personalmann, „erstickten manche Betriebe sozusagen im selbst produzierten Psycho-Müll. Diese Abfallberge versperren den Weg zueinander und werden zu Grabhügeln des Mitarbeiterengagements. So opfern viele Betriebe ihre wertvollsten Humanresourcen und schwächen damit ihre betriebliche Zukunftsfähigkeit!” Denn, setzt Hill hinzu, „so wichtig der Chef ist, der die Richtung weist, nicht weniger wichtig sind einsatzfreudige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die engagiert und eigenverantwortlich in die vom Chef gewiesene Richtung gehen. Mit Gefühlen aus dem Eiskeller im Leib fällt das aber doch sehr, sehr schwer!”

White Collar Boxing

Vom Boxen, dem Kampf Mann gegen Mann, ging schon immer eine besondere Faszination aus. Inzwischen gehen auch immer mehr Führungskräfte der Wirtschaft in den Ring, Manager, Rechtsanwälte, Banker, Ärzte, Werber. Boxen als Überlebenstraining in Zeiten der Krise? In England und den USA boomt das sogenannte „White Collar Boxing”, das Weiße-Kragen-Boxen schon länger. In Deutschland wird Boxen sogar in Seminaren für Führungskräfte eingesetzt.

Kai Hoffmann: Die Führungskräfte boxen erst einmal gegen mich, lernen das dann auch, ich gebe Feedback, ich gebe Rückkopplung, wie ich sie erlebe und dann werden die auch untereinander kämpfen.

Thomas Bittong: Also, wenn Sie das erste Mal einen Schlag bekommen, das ist so eine Erniedrigung: der hat mich jetzt geschlagen!

Peter Voss: Der Boxsack schlägt nicht zurück, der Mann wohl, Sie müssen das letztlich im Ring auch erproben.

Kai Hoffmann: Das Boxen kann als Vehikel genommen werden, um genau das auch zu reaktivieren und erlebbar zu machen, was den Menschen ausmacht, nämlich seine Individualität und Authentizität, denn, wer boxt lügt nicht.

Kai Hoffmann: Er gibt Seminare für Führungskräfte, vor allem in Banken und Versicherungen, er coacht Manager – und läßt sie im Ring antreten. Er hat Philosophie und Psychoanalyse studiert, in beiden Fächern auch promoviert, war in der Geschäftsführung der Frankfurter Oper und boxt selbst seit vielen Jahren.

Kai Hoffmann: Beim Boxen ist man so authentisch und kann so schnell an seine Ressourcen, sein Potential herankommen, wie es in kaum einer anderen Sportart möglich ist, und insofern hab ich dann das Boxen als einen Teilbereich meiner Beratungspraxis verwendet, um den Menschen zu sich selber zu bringen, in Grenzsituationen erlebbar zu machen, erstens, und zweitens erlebe ich dann auch aufgrund meiner Ausbildung den Menschen: Wie tickt der eigentlich? Ein Klient, der kann mir stundenlang etwas vormachen, weil er irgendwelche Rollen spielen will und wenn ich ihn dann mal reinzerre in den Ring, mit Höschen und Hemd und er ist alleine im Ring, dann kommt etwas anderes dabei heraus, beim Boxen kann man keine Rollen spielen, man ist ohne Maske.

Thomas Bittong: Ich bin Linksausleger und die rechte Hand ist die Hand, die richtig hart zuschlagen kann, mit der schreibe ich auch, aber auch nicht härter, als ich vor dem Boxen geschrieben habe.

Thomas Bittong, 58, schlank, durchtrainiert, beweglich. Weißes Hemd, Krawatte. Er leitet eine erfolgreiche Versicherungsagentur in Frankfurt, versichert u.a. die Konstantin-Film Bernd Eichingers und Tourneen der Scorpions. Über Kai Hoffmann kam er zum Boxen.

Thomas Bittong: Ich dachte, was soll ich da, warum soll ich mich da prügeln, bis ich erkannt habe, daß man da wirklich das ein und andere ins täglich Leben übertragen kann. Strategisches Denken etwa, Taktik, der Umgang mit Aggressionen.

Thomas Bittong: Wenn Sie einen Schlag abbekommen und Sie sind aggressiv, weil der Gegner ihnen weh getan hat, ist es vollkommen falsch, wenn Sie jetzt mit Aggressivität in den Gegner rein gehen, Sie sind nicht koordiniert, Sie leiden unter ihren Aggressionen, besser ist es in die Deckung zurückzugehen, sich eine neue Taktik zu überlegen und mit einer guten Kombination in den Gegner rein zu gehen.

Seit rund 10 Jahren trainiert er regelmäßig,

Kai Hoffmann: Ach, ist das herrlich draußen, den ganzen Tag nur im Büro gesessen. Unser Boxverein ist so richtig in der Szene, das ist Hinterhof, Randbezirk, Industriegebiet, ausländische KFZ-Reparaturfirmen, die aus drei Autos ein nagelneues machen, und genau da ist der Boxstall und genau da gehört das Boxen auch hin, das Boxen ist noch keine Sportart und wird’s wahrscheinlich auch nie werden, die in den Innenstädten, den gelackten und geleasten Sportstudios stattfinden wird, zumindest nicht das Boxen, das wir machen.

Der Boxverein liegt in Neu-Isenburg, die Fahrt vom Zentrum der Stadt des Geldes dauert rund 20 Minuten.

Thomas Bittong: Das Leiden im Ring gehört unabdingbar zur Größe eines Boxers, bei uns ganz anders, wir verhindern schon, im Ringstaub zu liegen, und mit klaffenden Augenbrauen am nächsten Tag ins Büro zu gehen, obwohl manchmal tut’s schon ein bißchen weh, dann blutet auch die Nase, dann tut auch mal das Kinn weh, wenn der Haken kam…

Kai Hoffmann: So, jetzt kommen wir in diese besagten Hinterhöfe, Parkplatz ist reserviert und jetzt geht’s durch die rote Tür.

Ein unscheinbarer Bau, nicht groß, gleich im Eingangsbereich ein Boxring, an der Wand Bretter mit Pokalen und Pinwände mit Artikeln: über das Managerboxen und über die sportlichen Erfolge des Boxvereines. Links die Umkleiden, geradeaus die Trainingshalle. Schmal, die Wände mit Nut- und Federbrettern verkleidet, an der einen Seite der Halle hängen sechs Sandsäcke von der Decke. Dienstags und donnerstags treffen sich hier die Boxer mit den weißen Kragen, an diesem Abend sind es nur eine Handvoll.

Friedrich Meiss: Es hat sich jetzt raus kristallisiert, daß doch sehr viele Leute doch in den Coaching Bereich rein gehen.

Friedrich Meiss, der Leiter des Boxvereines.

Friedrich Meiss: Auch Einzeltraining, sehr viel morgens, da sind wir fast ausgebucht, zwischen ein und zwei Personen, das sind vorrangig Banker, Immobilienmakler und Versicherungsmakler, die das genau in ihren Timer eintragen, das ist Dienst, ja Fitneß, da ist alles genau, 9.30 bis so und so viel plus duschen, um halb 12 wieder im Büro, weil man kann schon am Sandsack Aggressionen ausbauen, Entschuldigung, abbauen…

Wir stehen in Halbdistanzstellung ja, tschak, tschak, saubere Ausführung hier wieder mit der Hüfte rum, linker Haken, rechter Haken, bis zur verlängerten Nasenspitze (usw …)

Trainiert wird die Gruppe von einem der großen alten Männer des Frankfurter Boxsportes, Horst Gauss, 67.

Übungen für Kondition und Technik. Schweißtreibend.

Gut, wir beenden Technik, Taktik und gehen zum Konditionstraining, alle an die Säcke!

Peter Voss, 52, schlägt auf einen der Säcke ein. Gesellschafter und Geschäftsführer einer Marketing- und Eventagentur, spezialisiert auf Veranstaltungen für große Unternehmen wie Deutsche Bank oder Daimler-Chrysler. Ein umkämpfter Markt, gerade in Krisenzeiten. An was denkt er, wenn er auf den Boxsack schlägt?

Peter Voss: Es ist keineswegs der Mitbewerber, man versucht sich in aller Regel darauf zu konzentrieren, was man macht, ist schon ein komplexer Sport, wenn Sie nicht die Fähigkeiten eines Schlagzeugers haben, der verschiedene Dinge gleichzeitig tun kann, dann ist das ziemlich gewöhnungsbedürftig, also konzentrieren Sie sich primär auf das, was Sie tun und weniger auf das, was eventuell sich verbinden könnte.

Managerboxen – das neue Golf, so eine vielzitierte Schlagzeile der britischen Financial Times, die auch in ihrer deutschen Ausgabe über den neuen Trendsport berichtete. Motor des Ganzen ist „The real fight club”.

Kai Hoffmann: Der real fight club ist auch aus einer Geschichte entstanden, weil zwei Vorstände, das war in den 80er Jahren, eines Versicherungsunternehmens und einer Bank, die waren sich spinnefeind und bei einer Konferenz wollten die aufeinander losgehen, die waren so mit Wut angefüllt, daß sie zurückgehalten wurden von ihren Mitarbeitern, dann haben die aber ausgemacht, okay, in sechs Monaten treffen wir uns wieder, jeder lernt das Boxen und dann gehen wir in den Ring.

Der Startschuß für einen Trend: In New York und London sei es inzwischen nichts Ungewöhnliches mehr, wenn Vorstandsvorsitzende zweier Unternehmen vor der Belegschaft in den Ring treten.

Kai Hoffmann: Und das Boxen hat natürlich auch viel mit Männlichkeit zu tun, also da kommt sehr viel auch an männlichen Statussymbolen mit hinein, das zieht sich im Moment durch die Banken und Versicherungen und wir erleben, daß mehr und mehr auch zum Managerboxen kommen.

München, Boxfabrik, ein Boxgym, das immer wieder genannt wird, wenn es um den Trendsport Managerboxen geht. Am Frankfurter Ring, nahe der Autobahn, Gewerbegebiet. Roland Suttner ist Leiter des Gyms, das mit rund 500 Trainierenden aus allen Altersklassen und Nationen eines der größten in Deutschland sei. Das Boxen habe sich inzwischen aus dem Rotlicht-Milieu befreit und sei nun auch in gehobeneren Kreisen immer beliebter.

Roland Suttner: Also inklusive dem Akademikeranteil in der Boxfabrik würde ich wohl an die 50-100 Personen zu diesem Kreis rechnen. Steuerberater, Anwälte, Ingenieure, Ärzte, wir hatten sogar einen leitenden Richter von einem Strafgericht, das Spektrum ist ziemlich breit, wenn man diesen Managerbegriff entsprechend ausdehnt.

Nur, der Münchner Manager ist scheu, Suttner sagt, er könne keinen zum Interview überreden:

Roland Suttner: Die meisten, die wollen hier auch für sich selber boxen und einem Manager ist der Drang nach Profilierung meist etwas fremd, der braucht das nicht.

Am Ende jedes Trainings in dem Frankfurter Box-Verein gehen die Männer in den Ring. An diesem Abend Kai Hoffmann gegen Peter Voss, beide durchgeschwitzt nach dem harten Training.

Am Ende die völlige Erschöpfung – und Glücksgefühle:

Peter Voss: Sonst würde man das nicht machen, sonst würde man sich nicht durch den Frankfurter Berufsverkehr plagen, nach Neu-Isenburg, was für uns echt eine Quälerei ist, macht man echt nur, weil’s Spaß macht, mal mehr mal weniger, es ist gut für nahezu alles, vor allen Dingen für die Seele.

Peter Voss trainiert schon seit Mitte der 90er Jahre, angeregt durch seinen Sohn, damals 15.

Peter Voss: Der immer gesagt hat: hey komm, laß uns da mal hingehen!

Der Sohn hat sich inzwischen auf andere Sportarten verlegt, Peter Voss blieb dabei, obwohl es ihm anfangs schwer fiel, als einer, der sich in der Kindheit nie geprügelt hatte.

Und das hat man dann eben auch damals, als ich anfing, gemerkt: so ein elementares Problem ist das Zuschlagen, versuchen Sie mal jemand ins Gesicht zu hauen, das ist am Anfang nicht einfach.

Trainer im Training: So wir boxen Kopfhaken, linke und rechte Kopfhaken.

Peter Voss: Die eine Geschichte ist die, man wird älter und will was tun, was einen körperlich fit hält, Punkt. Das zweite ist natürlich so ein Versuch, an Leistungsgrenzen zu gehen, das tust du damit auch, und an Grenzen zu gehen, die mit dir als Person was zu tun haben, weil du dich schon auch offenbarst, und du kriegst auch was auf die Nase, die berühmte narzißtische Verletzung, also deine Selbstliebe wird mit Füßen getreten, zu Anfang, du gewöhnst dich aber daran, weil du anfängst, das nicht persönlich zu nehmen, weil genau das darfst du nämlich nicht beim Boxen.

Boxen verändert die Persönlichkeit, das hat er am eigenen Leib erfahren.

Peter Voss: Du gehst in der Tat mit deinem Alltag anders um, du bist auch Willens dich auch anders durchzusetzen, weil du weißt, daß du das in der Boxsituation, in der eins zu eins Situation geschafft hast, bestimmte Dinge zu tun, die du dir eigentlich gar nicht zugetraut hast.

Mut, Zielstrebigkeit, Selbstvertrauen in Konfliktsituationen – das brauchen Führungskräfte, sagt Kai Hoffmann, gerade in Zeiten der Krise, deshalb setzt er das Boxen in seinen Seminaren ein, da könne man das lernen.

Hoffmann hat große Pläne, will zusammen mit dem „real fight club” Managerboxen in Deutschland groß rausbringen.

Kai Hoffmann: Wir hoffen natürlich, daß wir auch jetzt in Frankfurt und in Berlin und in München auch Manager finden, die sich fit machen, um dann gegen andere Banken, gegen Unternehmen auch selber anzutreten.

Peter Voss: Dieses white collar boxing heißt ja, daß Sie Kämpfe veranstalten, Unternehmen sich wechselseitig Schlachten liefern mehr oder weniger, zum Gaudi aller anderen Angestellten. Zeitgenossen, die das gerne anschauen, wenn sich die Vorgesetzten gegenseitig auf die Nuschel hauen – das wird hier nicht funktionieren, das bezweifle ich.

Kai Hoffmann: Das wird sich finden, wenn wir fünf oder zehn Banker einer Bank haben, dann würden wir beispielsweise innerhalb dieses Programms auch sagen: die Deutsche Bank kämpft gegen Morgan Stanley in London.

Das Interview führte
Georg Gruber

Faustregeln der Führung

Kriegskasse füllen, feindliche Übernahme abwehren, Arbeitskampf führen, Märkte ins Visier nehmen, Marketingfeldzüge planen, an der Kundenfront kämpfen, Nachwuchs rekrutieren im „War for Talents”.

Wirtschaft ist Krieg, und nur die härtesten Generäle unter den Chief Officers gewinnen die Schlacht. Business ist brutal, seine Sprache militärisch. Angriff, Vernichtung und Tod drohen überall. Wenn auch nur als Metaphern. Der wirkliche Kampf bleibt abstrakt, wird mit Worten geführt, mit Geld und Ideen, Intrigen und Geltungssucht. Der Krieg spielt sich im Kopf ab. Die Körper bleiben an ihren Schreibtischen sitzen und ducken sich weg unter den verbalen Attacken des Chefs, der Wettbewerber, Kollegen und Kunden.

Zeit aufzustehen, in den Ring zu gehen, Schläge auszuteilen und einzustecken lernen. Kai Hoffmann rät zum Prügeln. Der promovierte Psychologe und Philosoph berät Führungskräfte, indem er ihnen ins Gesicht schlägt und sie zur Gegenwehr auffordert.

Das archaische Moment des Boxens, dieses „Mann gegen Mann” als Chiffre für den Urkonflikt sozialen Miteinanders und seiner Hierarchie haben nahezu alle Boxer und Boxtheoretiker immer wieder betont. Es gehe um ein existenzielles Prinzip, erklärt die amerikanische Schriftstellerin Joyce Carol Oates, Autorin des berühmten Essays „On Boxing”: „Ich muss Boxen nicht als Sport rechtfertigen, weil ich es nie als Sport angesehen habe – weil es das Leben selbst ist und kaum ein bloßer Sport.”

Hoffmann überträgt diese Erkenntnis in „Boxen & Managen”, seinem Buch über Faustkampf und Führung, in den Arbeitsalltag und nutzt den Boxring als Ort der Selbstfindung und Führungsseminar. „Die Werte des Boxens haben pragmatischen Nutzen für das Management”, schreibt er. Im Faustkampf nach Regeln sei all das angelegt, was über wirtschaftlichen Erfolg und persönliche Integrität entscheidet: Würde, Präzision, Mut, Selbstverantwortung, Zielstrebigkeit, Siegeswille, Ehrlichkeit, Disziplin, Selbstbeherrschung, Beharrlichkeit, Selbsterkenntnis, Autonomie und körperliche Gesundheit.

Hoffmann teilt seine Thesen aus wie gezielte Schläge. Geradlinig, klug und konkret, ohne sich von möglichen Einwänden beirren zu lassen. Man kann sich seinen Analysen nicht entziehen. Die besten Passagen dieses Buches lesen sich wie die einpeitschende Predigt eines Coaches vor dem Kampf. Er zwingt seinen Schützling, den Leser, sich mit der unumgehbaren Präsenz des Gegenübers – und vor allem mit sich selbst – auseinander zu setzen. Der Boxkampf wird zum Bild einer Begegnung mit dem eigenen Ego, seinen Schwächen, Ängsten, Stärken und Potenzialen.

„Boxen & Managen” unterscheidet sich wohltuend vom grassierenden Gewäsch des „Mach dich frei”, „Setz dich durch” und „Finde zu dir selbst”. Hoffmann bringt unzählige Beispiele aus der Beratungspraxis seines „Boxcoachings”. Er holt sich Manager in den Ring, die wissen, dass sie gut sind, sich trotzdem als minderwertig empfinden und sich permanent gehetzt fühlen. Chefsekretärinnen, die sich nicht trauen, eine gerade Rechte zu schlagen, das heißt, eine Meinung zu vertreten, zu der sie stehen. Im Ring kommen sie alle zu sich selbst, legen ihre Skrupel ab, agieren und reagieren ungefiltert und direkt. Diese Erfahrung nehmen sie mit in die Firma. Hoffmanns Klienten lernen, wer sie sind, was sie wollen und was sie hindert, es zu bekommen. „Im Boxring kann jeder lernen, so zu handeln, wie es ihm und den zu mobilisierenden Potenzialen möglich ist.”

Die psychoanalytische Ausbildung des Autors und seine Deutungen heben die Beobachtungen aus dem Ring auf eine Ebene, wo körperliches und soziales Verhalten sich treffen. Der Körper des Boxers und der Boxerin sprechen gewissermaßen das aus, was bei der Arbeit, im verbalen Kampf mit den Mitarbeitern stumm bleibt. Es geht nicht darum, den anderen das Maul zu stopfen und auf jeden vermeintlichen Angriff mit Gegenschlägen zu reagieren. Die Beobachtung zeigt vielmehr, dass sich die Boxenden von den Erwartungshaltungen der Außenwelt frei machen, ihre eigenen Prioritäten setzen lernen und gleichzeitig befähigt werden, auf die Handlungen und auch Aggressionen anderen angemessen zu reagieren. Am Ende des Kampfes stehen Selbsterkenntnis, hoffentlich Einfühlungsvermögen und mitunter sogar Führungskompetenz.

Sven Nagel

Schlag mich!

Beim Boxen lernen Manager, wie Kerle mit Konflikten umzugehen. Jetzt haben auch in Deutschland die ersten Kampfschulen für Führungskräfte eröffnet.

Spielen Sie Golf? Vergessen Sie’s! Bringen Sie Karohose und Eisen auf den Dachboden und legen Sie sich Shorts und Boxhandschuhe zu. „White collar boxing”, schreibt die britische Financial Times, „ist das neue Golf.” Tatsächlich boomt auf der Insel das Boxen bei Männern mit den berufsbedingt weißen Kragen. Banker, Anwälte, Börsianer suchen regelmäßig den Kick in Box-Gyms – doch nicht nur dort: „The Real Fight Club”, die Vereinigung boxender Manager mit gut 1.600 Mitgliedern, läßt mehrmals im Jahr Führungskräfte in Luxushotels vor 1.000 Zuschauern in den Ring steigen. Während sich die betuchten Gäste an Entenparfait und Champagner laben, schlagen sich die Manager ein paar Minuten lang für einen wohltätigen Zweck: Alle Einnahmen des Abends werden gespendet. „Der Wandel vom Banker zum Boxer dauert nur ein paar Monate”, sagt Adrian King, Initiator des Real Fight Clubs in London. Sein nächstes Ziel steht schon fest: Ein Kampf deutscher Businessboxer gegen britische. Erst in London, ein paar Monate später geht’s dann zur Revanchen nach Deutschland. „In einem halben Jahr könnte es los gehen.” Er setzt alles daran, dem Real Fight Club auch hierzulande den Boden zu bereiten.

Die Zeichen stehen dafür nicht schlecht. Längst haben auch deutsche Manager erkannt, daß Boxen ein exzellenter Konditionssport ist, bei dem es nicht darum geht, sich die Nase blutig zu schlagen: In den Großstädten schwitzen sie in Vereinen und Studios, springen Seilchen, traktieren Sandsäcke und lernen technische Finessen, bis es zum Sparring in den Ring geht. So trainieren etwa in der Münchener Boxfabrik rund 50 Manager von Linde bis BMW, und in Hamburg bittet der Klitschko-Trainer Fritz Sdunek Führungskräfte zum Boxseminar, das bei durchschlagendem Erfolg auch in anderen deutschen Städten angeboten werden soll.

Warum Manager Gefallen am Boxen finden? „Wer beruflich stark eingespannt ist, braucht einen Sport, bei dem es richtig zur Sache geht”, sagt Michael Bretz, Leiter der Abteilung Wirtschafts- und Konjunkturforschung bei der Creditreform in Neuss. „Beim Boxen werde ich körperlich und mental voll gefordert.” Seit einem Jahr trainiert er mit Gleichgesinnten in Köln beim SC Colonia, ältester Boxverein in Deutschland und der erste, der Managerboxen anbot. Besonders der krasse Gegensatz zum Bürojob reizt den 49-Jährigen: Boxen sei ursprünglich und ehrlich. Zusammen mit dem Anzug lege man in der Umkleide auch die Manageretikette ab.

„Wettbewerbssituationen, die im Job eher verdeckt ablaufen, treten beim Zweikampf offen zutage: Dafür braucht es Mut”, sagt Bretz. Zwar muß niemand Angst haben, im nächsten Meeting mit einem blauen Auge aufzutauchen – Schutzausrüstung ist Pflicht – doch die Persönlichkeit ist schon gefordert: Wo sonst darf eine Führungskraft einem Konkurrenten eine verpassen?

„Boxen erfordert Eigenschaften, die auch ein Manager haben muß”, sagt Roland Suttner, Chef der Münchener Boxfabrik. „Man muß taktieren können, fintieren, technische Grundlagen haben.” Auch deshalb haben Deutschlands Manager Boxen für sich entdeckt und schwärmen von den Parallelen zwischen Sport und Job: Durchsetzungsvermögen, höchste Konzentration, Dynamik und Ausdauer. Vorbei die Zeiten, in denen Boxen als primitiv galt. Zum Boxen gehört schließlich eine gewisse Pfiffigkeit dazu: Man muß immer wieder Einfälle haben, um Schläge zu vermeiden. Wie im Managerleben.

Boxen ist wie das Leben: Es ist ein Kampf, man geht zu Boden. Doch letztlich steht man immer wieder auf.

„Mittlerweile ist Boxen für Führungskräfte ein Image-Faktor”, sagt Suttner. Selbst für Menschen, die lange keinen Sport getrieben haben, ist es perfekt – der Konditionsaufbau geschieht langsam, dafür lassen Erfolgserlebnisse nicht auf sich warten.

Doch Boxen hilft nicht nur, die Endorphine durchzuschütteln. Manager können vom sportlichen Kampf auch beruflich profitieren: Boxen, um die eigene Führungsqualität zu verbessern. Davon ist zumindest Kai Hoffmann überzeugt, Box-Coach in Frankfurt, der zu seinen Kunden unter anderem die Deutsche Bank, die Dresdner Bank und Aventis zählt. „Im Konfliktverhalten des Boxkampfs lernt ein Manager sich kennen. Diese Erkenntnisse lassen sich auf seine Arbeit übertragen”, sagt Hoffmann. Defensive Haltungen ließen sich überwinden, Probleme in der Mitarbeiterführung beheben. Mehr noch: „Viele Manager leiden. Sie sind süchtig nach Anerkennung und halten ihre Aggressionen zurück. Im Boxring dürfen sie dann Ausnahmen erleben.” Boxen als Ego-Booster? Ja, sagt Hoffmann, gerade in Krisenzeiten, die Führungskräfte um ihren Job bangen läßt, stärkt Boxen das Selbstwertgefühl.

Also auf in den Ring.

Mareike Müller

Aus der Deckung in den kontrollierten Angriff

Linke Gerade, rechte Gerade und dann ein harter Haken zum Kinn. Für einen Boxer ist das ein probates Mittel, um den Gegner K. o. zu schlagen. Doch heute steht kein Sportler im Ring des Neu-Isenburger Kampfsport-Clubs „Seishin”, sondern ein Manager. Und er kämpft nicht mit einem Sportskameraden um einen Meistertitel. Er kämpft mit sich selber, mit seinen Ängsten, Schwächen, Traumata.

„Ich war ein erfolgreicher Geschäftsmann, bis ich Kai Hoffmann kennenlernte”, sagt Theodor Balon (Name von der Redaktion verändert). „Danach wurde ich noch erfolgreicher.” Kai Hoffmann, der in seinem Hauptberuf Sponsoring-Manager bei der Oper Frankfurt ist, als Balons Boxtrainer und Sparringspartner zu bezeichnen, wäre falsch. Hoffmann ist für Balon eine Art Seelendoktor, ein Analytiker, der seinen Patienten nicht auf die Couch, sondern in den Boxring bittet. Seine Methode heißt „psychoanalytisch orientiertes Boxtraining”.

Linke Gerade, rechter Aufwärtshaken zum Körper. Mit einer solchen Schlagkombination kann man Herr im Ring, aber nicht auf einer Vorstandsetage werden. Dort muß man zwar auch Schläge austeilen, aber keine körperlichen, sondern psychische. Ansonsten aber ist das Geschäftsleben auch Kampf. Balon weiß ein Lied davon zu singen. Als Generalvertreter einer großen Versicherung bekommt er den erbitterten Konkurrenzdruck zu spüren, der mit der Öffnung des Versicherungsmarktes für ausländische Anbieter und mit dem Auftreten von Internet-Agenturen einsetzte. Vorbei die Zeiten, da das Geschäft fast automatisch lief, plötzlich galt in der Versicherungsbranche das Gesetz des Dschungels.

„Schlag zu”, munterte Kai Hoffmann seinen Klienten in einer der ersten Ringstunden auf. Doch Balon hatte eine Schlaghemmung. Er brachte es einfach nicht über sich, im Ring Schläge auszuteilen. Ein normaler Trainer hätte in diesem Fall mit Balon immer wieder den Angriff geübt, bis dieser irgendwann einen halbwegs brauchbaren Leberhaken zustande gebracht hätte. Doch Kai Hoffmann ist kein Boxtrainer, der seinen Schützlingen in erster Linie technische Fertigkeiten beibringen und sie zu größerer Aggressivität aufstacheln will. Vielmehr möchte er zusammen mit seinem jeweiligen Klienten herausfinden, warum dieser eine Schlaghemmung hat oder – der gegenteilige Fall – seine Angriffswut nicht zügeln kann.

Konter mit der Schlaghand. Versicherungs-Manager Balon weiß nach vier Jahren psychoanalytisch orientiertem Boxtraining sich zu wehren – weil er mehr über sich weiß. Sein Unvermögen, zurückzuschlagen, hat seine Wurzeln im Verhältnis zu seinem Vater. Der war ein dominanter Mann, dem der Sohn sich nicht zu widersetzen wagte. Rennfahrer wollte der junge Balon eigentlich werden und nicht die Versicherungsagentur des Vaters übernehmen. Der Papa trieb ihm diese und andere Flausen aus dem Kopf. Jahrzehnte später, beim Boxtraining mit Kai Hoffmann, merkte Balon, daß er die unaufgearbeitete Beziehung zum Vater als Ballast mit sich herumschleppte. Wie er dem Konflikt mit dem Vater immer aus dem Weg gegangen war, so ging er später im Beruf auch anderen Konflikten aus dem Weg.

Nahkampf, in den Gegner hineingehen. Balon traut sich inzwischen, gegenzuhalten. Er weiß jetzt ganz gut, wann er angreifen und wann er verteidigen muß. Weil er sich selbst besser kennengelernt hat. Weil er verborgene Kräfte in sich entdeckt hat. Weil er gelernt hat, daß jemanden anzugreifen nicht von vornherein etwas Böses ist. Im Sport nicht und auch nicht im Geschäftsleben. Wenn Balon Verhandlungen führt mit Kunden, ist das immer auch ein Kampf der Interessen. Ein legitimer Kampf, dem er nicht aus dem Weg gehen darf.

Du schlägst immer nur mit halber Kraft! Du traust dich nicht, deine Stärken zu zeigen! Wenn du unter Druck gerätst, machst du Fehler! Das bekam Kai Hoffmann, der seit 20 Jahren boxt, vor vielen Jahren von einem Trainer gesagt. Die gar nicht psychologisch gemeinten Sätze machten den Psychologen in Hoffmann neugierig. Er erkannte, daß im Boxring sich psychische Mechanismen eines Menschen in seinem körperlichen Verhalten zeigen.

Aus der Deckung in den kontrollierten Angriff. Bill Gates ist für Hoffmann der Prototyp eines Menschen, der mit Übersicht und Strategie agiert und damit meist die Konkurrenz schlägt. Henry Maske hat eine andere Siegesstrategie verfolgt: Er setzte ganz auf Verteidigung, richtete seine Technik nach den Angriffen des Gegners aus. Dazwischen gibt es viele andere Verhaltensweisen im Ring wie auch im Leben: Der eine greift kopflos an, ein anderer weicht den Schlägen immer nur aus und nutzt seine Kräfte nicht, ein dritter steckt alles ein.

Linke Führhand, dann rechte Schlaghand erst zum Körper, dann zum Kopf. Das psychoanalytisch orientierte Boxtraining mobilisiert eine gesunde Aggression, hat Kai Hoffmann festgestellt. Es legt aber auch die Wurzeln von Schwächen frei. Plötzlich erkennt jemand, daß er nie zuzuschlagen lernte, weil er zum Beispiel das Hätschelkind der Mutter war. Und Hätschelkinder müssen schließlich artig sein.

Pause! ruft Kai Hoffmann. Nach Atem ringend, hängen er und sein Klient Balon in den Seilen. Boxen ist anstrengend, so anstrengend wie der Kampf um Versicherungskunden. Daß Balon diesen Kampf häufig gewinnt, verdankt er auch dem Boxtraining und dem Selbstbewußtsein, das er im Ring beim Entdecken seiner Stärken und Schwächen gewonnen hat.

Hans Riebsamen

Fäuste hoch und immer schön auf die Zwölf

Boxen – das ist Hinterhof. Das sind Farbschichten, die von Betonwänden abblättern, an denen verblichene Poster ebenso verblichener Boxer hängen. Das ist der muffige Geruch selten gelüfteter Umkleidekabinen. Das sind Kampf, Blut, Adrenalin und Schweiß. Boxen, das ist etwas für die Unterschicht, für jene, die sich nach oben kämpfen müssen. So war es jedenfalls einmal. Irgendwann aber wollten die Satten, die Etablierten auch etwas Aufregung. Banker, Anwälte, Berater sehnten sich nach ein bißchen Roheit in ihrem Leben, danach, Konflikte archaisch austragen zu dürfen. Schon immer hatten sie mit wohligem Grusel bei Boxkämpfen zugesehen, gewettet, gefiebert. Nun wollten sie selbst in den Ring. Ein blaues Auge, das hat schließlich nicht jeder.

Die Klasse der White Collar Worker, der Hemdenträger und Büroarbeiter, entdeckte das Boxen Mitte der achtziger Jahre. Es begann im New Yorker Stadtteil Brooklyn, in Gleason’s Gym, dem ältesten Boxclub der Vereinigten Straßen. Dort standen sich 1988, so steht es in den Annalen des Clubs, David Lawrence, Doktor der englischen Literatur, und Richard Novak, Anwalt, im Ring gegenüber. Kollegen und Freunde sahen zu, wie die beiden sich schlugen. Der Kampf endete unentschieden, alle gingen anschließend zusammen essen, und das White Collar Boxen war geboren.

Die WallStreet-Krieger ziehen noch immer über die Brooklyn Bridge. Seit 17 Jahren inszeniert Gleason’s Gym monatliche White Collar Kämpfe. Längst ist die Welle in alle Welt geschwappt. In London etwa hat „The Real Fight Club” mehr als 600 aktive Mitglieder. Die Kämpfer tragen gepolsterte Handschuhe und Kopfschutz. Und: Am Ende gibt es keinen Verlierer. Man prügelt sich nicht bis zum Nasenbeinbruch – schließlich müssen alle am nächsten Tag ins Büro. Der Verein organisiert White Collar Box Events vor 1.000 Zuschauern, gerne in Fünf-Sterne-Hotels. Mehrere Millionen Pfund an Spenden sind bisher zusammengekommen.

Peter Wulf wollte etwas von diesem Fightclub-Gefühl nach Deutschland holen. Der Hamburger Anwalt war früher – er würde „ganz früher” sagen – Profiboxer: „Ich kenne das Geschäft.” Sein altes und sein neues Leben in einer Geschäftsidee zu verschmelzen, das erschien ihm ungeheuer interessant. „Boxen fordert Disziplin”, sagt er und zählt auf, was Manager vom Boxen lernen können: „Auf die Lippe bekommen, aber nicht aufgeben, Rücksicht nehmen, Zielstrebigkeit, an körperliche Grenzen gehen.” Boxen als Metapher für den Alltagskampf im Sitzungssaal, als Urform aller Konflikte.

Wulf schwebte ein Box- und Management Camp vor. Unter Anleitung und überwacht von Medizinern, sollten Manager ein Wochenende lang trainieren. Zusammen mit einem Partner gründete er die Boxing & Business GbR, hauptberuflich blieb er Anwalt. Allein: Er warb bei Unternehmen für seine Idee, „es gab aber kaum Rücklauf”. Das erste Camp mußten die Macher mangels Anmeldungen absagen. Nun aber bastelt Wulf an der Wiedergeburt von „Fighting for Fitness”. Mitte November sollen fitte wie unfitte Manager – „natürlich niemand mit sieben Bypässen” – in der Hamburger Sportschule Sachsenwald in den Ring steigen. Trotz 1.100,- Euro Gebühr: Sterne-Hotel ist nicht, statt dessen warten Zwei- und Dreibettzimmer. „Das müssen die erleben”, sagt Wulf. Trainer des Profiboxstalls Universum werden mit den Selbsterfahrungshungrigen arbeiten. Das Programm atmet Armee-Atmosphäre. 21.30 Uhr Bettruhe. 7 Uhr wecken. 7.15 bis 8 Uhr Lockerungslauf. 8 Uhr bis 8.30 Uhr duschen. Boxtechnik, Grundschläge, Bewegungsabläufe. Seilspringen, Zirkeltraining, Schattenboxen. Duschen, Massage, essen. Am dritten Tag: Sparring im Ring.

So manches Managementtraining mutet bizarr an. Bergsteigen, Zen-Meditation, Höhlenklettern, das gibt es alles schon, auch Wüstentouren, Segeltörns, Schlittenhunderennen oder Einkehr im Kloster. Nun also Boxen. Der Sport könne für Entscheider eine Selbsterfahrung sein, glaubt Wulf. Er hofft, daß deutsche Manager bald ähnlich viel Geschmack daran finden wie ihre amerikanischen und englischen Kollegen. Adrian King, Promoter des Londoner Real Fight Clubs, wollte schon mehrmals deutsche Topmanager für Kämpfe gegen englische Topmanager gewinnen, bisher noch mit bescheidenem Erfolg. Aber auch, wenn White Collar Boxen in Deutschland noch nicht so groß ist wie auf der Insel, Wulf ist sicher, „das wird einschlagen”.

Schon jetzt boxen Weißkragenträger in einigen deutschen Städten, zum Beispiel in der Boxfabrik München oder im SC Colonia 1906 in Köln. In Frankfurt hat Kai Hoffmann, Doktor der Psychoanalyse und der Philosophie, dem Managerboxen sogar einen transzendenten Überbau verpaßt.1996 gründete er seine Praxis für Managementberatung: Konflikttraining, Motivationstraining – und Boxcoaching. Hoffmann, Jahrgang 1958, boxt, seit er 18 ist, davor war es Judo. Nachts stand er auf, um Muhammad Ali zu sehen, und er hat einen Händedruck, dem man den Faustkampf sofort glaubt. „Jeder boxt so, wie er psychisch gestrickt ist”, sagt Hoffmann. Die Boxsituation sei eine sehr emotionale, seine Klienten müßten spontan reagieren, könnten nicht lügen und keine Rollen spielen. Ein Coaching-Teilnehmer begriff plötzlich, daß er ein Verteidiger ist – aber nie angreift, im Ring wie im Job. Ein anderer, ein Banker, schlug einfach drauf los, nahm Hoffmann gar nicht wahr, stellte sich nicht auf dessen Schläge ein. Ähnlich ging er mit seinen Mitarbeitern um, machte am liebsten alles platt. Heute versucht er, besser auf Kollegen einzugehen. „Das kommt über das Boxen heraus”, sagt Hoffmann.

Aus der Banken- und Versicherungsbranche kommen sie zu ihm, aus der Chemie, dem Verlags- oder Bauwesen, oft aus eigenem Antrieb, manchmal vom Unternehmen entsandt. Dreimal treffen sich die Beratungswilligen mit Hoffmann zum Gespräch, zweimal steigen sie mit ihm in den Ring. Eine Stunde lang bringt er ihnen im Seishin-Kampfsportclub in Neu-Isenburg das Wichtigste bei: Schlagtechnik, Schritttechnik, Verteidigung. Am Sandsack lernen sie, richtig zuzuschlagen. Und dann geht es zum Sparring mit Herrn Hoffmann in den Ring. Fahrer und Sekretärinnen sind die Kämpfer normalerweise gewohnt. Dann aber stehen sie da, mit Hemd und Höschen und sonst nichts, dem Gegner gegenüber. Ein blaues Auge ist da schon mal drin. Aus therapeutischen Gründen – „Nun schlagen Sie doch mal richtig zu, Herr Hoffmann!” – hat der Coach auch schon einen Kunden qua K. o. auf die Bretter geschickt. Der war hinterher sogar dankbar. Weil die endgültigste aller Niederlagen gar nicht so schlimm war, fürchtete er sich fortan weniger vor beruflichen Tiefschlägen. „Die Werte des Boxens überschneiden sich mit Werten, die für Manager wichtig sind”, sagt Hoffmann und nennt, die Boxerwerte, die so wertvoll sind in den Chefetagen: „Durchsetzungsvermögen, Mut, Selbstvertrauen, Entschlossenheit, Disziplin, Siegeswillen, zu sich stehen, präzise sein.”

Rüdiger Liebe hat es ausprobiert. Der Unternehmensberater, 42 Jahre alt, stieg mit Hoffmann in den Ring, „um Körper und Geist zusammenzuführen, in einen neuen Erfahrungshorizont”. Er wollte lernen, in Konfliktsituationen mental stark zu sein, die Nerven zu behalten, ruhig zu bleiben, sich wieder der Argumente zu erinnern, nicht nervös zu werden. „Boxen hat etwas damit zu tun, mit dem Handschuh eine ins Gesicht zu kriegen und auch ins Gesicht des Gegners zu schlagen”, sagt Liebe. Als er in seiner Faust spürte, daß er getroffen hatte, da war sein erster Reflex: „Habe ich ihm jetzt weh getan? Muß ich ihm ein Handtuch reichen?” Heute, nach dem Ringerlebnis, weiß er aber: „Das macht im Management-Meeting auch keiner. Da liegst du am Boden, und die anderen argumentieren weiter.”

Henrike Roßbach

Manager im Ring

„Bei uns stellen sich viele die Frage: Was denken die anderen über mich? Und wenn der Chef das nicht macht, boxe ich auch nicht”, sagt Kai Hoffmann. Er trainiert zweimal pro Woche Manager im Neu-Isenburger Kampfsportclub „Seishin” am Stadtrand Frankfurts.

Hoffmann hat aus dem Boxsport ein Geschäft gemacht und ein Buch („Boxen & Managen”) geschrieben. „Boxen ist für mich ein diagnostisches Medium”, sagt der studierte Philosoph und Psychoanalytiker. Er bietet Führungskräften Boxcoaching an.

Im Ring will Hoffmann Stärken und Schwächen des Managers erkennen, die sich auch im Beruf zeigen. Er analysiert, wie sich sein Gegenüber verhält: Traut er sich nicht zuzuschlagen? Wartet er ab, bis der Geber den ersten Schlag macht? Boxt er ohne Ziel drauflos: Entschuldigt er sich, wenn er den Gegner getroffen hat?

Vor der ersten Runde im Boxstall sitzt der Kunde wie beim Psychiater auf der Couch und spricht über seine Ziele und Werte. Danach geht es für gut eine Stunde in den Ring. Hoffmann bringt dem Kunden Grundtechniken bei und beginnt mit ihm zu boxen. „Man muß im Ring immer präsent sein. Wichtig ist es, im richtigen Moment zu kontern oder in die Offensive zu gehen – das ist wie im Job”, sagt ein Risikomanager einer deutschen Großbank, der das Boxcoaching hinter sich hat.

„Beim Boxen muß man Charakter zeigen”, ist Hoffmann überzeugt. Vom Verhalten im Ring zieht er Schlüsse auf das Berufsleben. Für drei Beratungen auf der Couch und zwei „Sitzungen” im Boxring verlangt Hoffmann rund 1.000,- Euro.

Sein Boxcoaching hat bereits Anhänger gefunden: „In meinem Job sagte ich oft nicht direkt, was mich wirklich stört. Ich packte meinen Unmut in Fragen, anstatt das Problem direkt anzusprechen”, sagt Dino Gallo, Manager aus Bayern. „Jetzt spreche ich mit meinen Mitarbeitern offen und teile ihnen meine Gefühle mit. Das ist definitiv durch das Boxcoaching rausgekommen.”

Alexander Mühlauer

Na los, Schlagen Sie mich!

Was ist das für einer, der Männer und ganz gelegentlich auch Frauen, die seinen Rat suchen, spontan auffordert, mit ihm in den Boxring zu steigen und es ihm handfest zu geben? Genau so arbeitet Kai Hoffmann, Coach für Führungskräfte. Nach Abschluß seines Studiums der Philosophie und Psychoanalyse, nach seiner Promotion arbeitete er lange als Manager in der Geschäftsführung der Frankfurter Oper. Als Lehrbeauftragter für Philosophie an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst ist er bis heute tätig. Das aber hat mit Faustkampf rein gar nichts zu tun.

Kai Hoffmann ist Boxer aus Leidenschaft. Er hat die Passion zur Profession gemacht und, einmalig in Deutschland, die Methode des psychoanalytisch-systemischen Boxcoachings entwickelt. Manager, die seinen Rat suchen, weil sie sich beruflich „festgefahren” haben, bittet er in den Ring. Und dort geht es dann zur Sache. Mann gegen Mann.

„Eine ganz archaische Situation”, sagt Kai Hoffmann, „in der plötzlich ganz ursprüngliche Regungen wach werden.” Genau das ist seine Absicht. Im reellen Zweikampf, so Hoffmann, sei es vorbei mit aufgesetzter Selbstsicherheit, unerschütterlichen Gewinnerlächeln und all den übrigen business-üblichen Inszenierungen, mit denen die meisten Rat Suchenden ihren Berufsalltag bestritten, mit denen sie auch zum ersten Beratungsgespräch in die Praxis Gartenstraße 100 kämen. Manager sind auch nur Menschen, und sie brauchen jemanden, der ihnen hilft, wenn sie ausgebrannt sind oder sich nicht durchsetzen können, wenn sie zu dominant sind oder unfähig, Konflikte konstruktiv zu lösen. Und manchmal ist es eine Mischung aus all dem, was sie zum Coach treibt.

Mit Theorie beschäftigt Kai Hoffmann sich und den Klienten nur zu Beginn der Konsultation. Ist das Problem des Klienten ausgesprochen und das Ziel des Coachings definiert, geht es in den Ring. Der ist in Neu-Isenburg, im Boxstall „Seishin”, einem Hinterhofschauplatz von besonderem Flair. Natürlich haben die meisten Klienten keinerlei Boxerfahrung. „Macht nichts, das lernt sich, schnell”, sagt Hoffmann.

„Beim Boxen kann man nicht lügen”, sagt er auch. „Wenn ich sehe, wie jemand boxt, dann weiß ich wie er tickt.” Es ist gar nicht so selten, daß er sein Gegenüber auffordert, zuzuschlagen. Seltener ist es, daß er aus therapeutischen Gründen zuschlägt und den Klienten zu Boden gehen läßt. Die individuellen psychischen Grundmuster einer Person in ihrem Verhalten zu anderen zeige sich im Boxring unmittelbar, unverfälscht, spontan, erklärt er und läßt den psychotherapeutisch geschulten Trainer erkennen. Sein Blick, nicht ausweichend und fixierend, verrät den geübten Boxer. Die Augen beim Gegenangriff offen zu halten, gehört zu den Grundanforderungen im Ring. „Dieser Blickmechanismus ist so einfach wie weit reichend”, erklärt er. „Der Blick trifft die Wurzel unseres Seins. So lernt der Klient beim Boxtraining nicht nur, Ängste vor gewissen Blicken zu überwinden. Im Boxring üben wir das Blickkräfte-Messen als Technik, die psychische Komfortzone des Gegners zu attackieren.” Hört sich vielleicht ein bißchen spröde an. Der praktische Nutzen dieser Übung liegt freilich auf der Hand. Dem kalten, dem abschätzigen, dem „Killer”-Blick des Chefs ist jeglicher Schrecken genommen, wenn der Klient gelernt hat, ihm zu begegnen.

Dem Blickkontakt folgt der Körperkontakt via Faust – weitaus schwieriger für die meisten Klienten. „Im Ring soll er ja genau das tun, wovor er im Alltag Skrupel hat. Er soll angreifen, den Gegner permanent bedrängen, ihm dabei vor allem in die Augen schauen und sich sagen: Es ist gut und richtig, was ich hier mache, denn es ist mein Leben, das hier auf dem Spie steht und das ich, verdammt noch mal, zu verteidigen habe.” Den Mut zur „natürlichen Aggression” zurückzugewinnen, sei eines der Ziele des Boxcoachings, weil es helfe, bislang hinderliche alte Gedankenkonstrukte zu überwinden. Gar nicht so selten sei es, daß die Manager im Boxring Seiten an sich selbst kennen lernten, die ihnen bislang nicht zugänglich waren. Geboxt wird übrigens im so genannten Sparring, Körperkontakt ist erlaubt, sogar ausdrücklich erwünscht, weil Sinn der Übung. Damit keiner seiner Klienten mehr im Beruf „in den Seilen hängt”, „k.o. geht”, „ausgezählt wird”. Nur lebt das Boxen nicht allein von körperlichen Fertigkeiten und Finessen, sondern genau so sehr von der geistigen, wie Kai Hoffmann betont. „Blitzschnell Verfassung und Taktik des Gegners erfassen und ebenso schnell Entscheidungen treffen über Gegenstrategien” sei eine, der Grundanforderungen – im Boxring wie im Business.

Kai Hoffmann hat über seine Methode dieses sehr speziellen Führungskräftetrainings ein Buch geschrieben. „Boxen & Managen” ist der Titel, erschienen ist es kürzlich im Econ-Verlag.

Sylvia Amanda Menzdorf

Schick den Vorstand auf die Bretter

Zu wenig durchsetzungsfähig im Meeting? Kein Mumm bei der Vertragsverhandlung? Abhilfe versprechen Box-Coaches. Auch in Deutschland entdecken Manager den Faustkampf als Sport – und als Hilfe im Arbeitsleben.

Wenn es für die Boxgrößen Wladimir Klitschko und Markus Beyer morgen Abend um den Weltmeistertitel geht, wird auch Dietmar Stützer am Fernseher mitfiebern. Der Leiter der Personalqualifizierung der deutschen Niederlassung des Versicherungskonzerns Helvetia hat sich erst seit kurzem als Boxfan geoutet. „Früher konnte ich mit diesem Sport nichts anfangen”, bekennt Stützer. Zum Faustkampf kam er durch pure Selbsterkenntnis: „Irgendwann stellte ich fest, daß ich Unangenehmes gegenüber meinen Mitarbeitern, auch wenn sie grobe Fehler machten, nie zum Ausdruck bringen konnte. Ich wollte und konnte niemanden verletzten.”

Das änderte sich schlagartig, nachdem er beim Boxcoaching mit dem Frankfurter Psychologen und Amateurboxer, Kai Hoffmann, im Ring gestanden hatte. Zum ersten Mal in seinem Leben lernte Stutzer, auszuteilen und nicht nur einzustecken oder den Rückzug anzutreten. Der Personalexperte war über eine Anzeige in einer Fachzeitschrift auf das Angebot Hoffmanns aufmerksam geworden. Kurz entschlossen griff er zum Telefonhörer und meldete sich zum Faustkampftraining an. Nach den ersten Runden erntete er nicht nur Erfolgserlebnisse im Ring, sondern auch beim „Kampf” mit Kollegen. „Während eines Meetings merkte ich schnell, daß keiner auf meine Argumente eingehen wollte. Die Kollegen prügelten vielmehr verbal auf mich ein. Früher wäre ich sofort zu einem Kompromiß mit ihnen bereit gewesen.” Jetzt nicht mehr: In Meetings setzt Stützer sich nun durch.

„Natürlich sind die Wesenszüge eines Menschen durch ein paar Runden im Ring nicht gänzlich zu verändern. Durch das Boxcoaching will ich aber erreichen, daß mein Klient seine Authentizität zurückgewinnt und lernt, die Scheu vor Konflikten zu verlieren, aber auch offensiver durch das Leben zu gehen, und die Angst vor Niederlagen verliert”, erläutert Coach Hoffmann, der von dem Credo ausgeht: Das Leben geht mit in den Ring.

Von Niederlagen kann Axel Schulz, ehemaliger Schwergewichtsboxer von Weltformat und heute Boxkommentator beim Abo-Sender Premiere, auch einiges berichten. Aus seiner Niederlage gegen George Foreman ist er gestärkt hervorgegangen: „Nach dem verlorenen Kampf gegen George wurde ich so populär wie noch nie in meiner Karriere.” Und da Manager in der von Wirtschaftskrisen gebeutelten Zeit immer mehr Niederlagen einstecken müssen, rät Schulz dem Führungspersonal, doch einmal in den Ring zu steigen: „Boxen ist ein so komplexer Sport, der hervorragend geeignet ist, den Kopf frei zu kriegen. Man muß sich permanent auf seien Gegner neu einstellen und eine Vorwärtsstrategie entwickeln, da bleibt keine Zeit mehr zum Problemewälzen”, meint der ehemalige Box-Champ.

Doch Manager lernen im Ring nicht nur abzuschalten, sie gewinnen auch an Tugenden, die im Alltagsleben helfen, glaubt Schulz: „Siegeswille, Disziplin, Durchhaltevermögen und die richtige Strategie sind beim Kampf das A und O.” Doch das richtige Leben sieht ganz anders aus. Die typischen Verhaltensmuster: Der eine weicht den Schlägen immer nur aus und vergißt dabei seine eigenen Kräfte, der andere greift ständig kopflos an und kommt doch nicht zum Ziel, der Nächste steckt alles klaglos ein.

Wer solch unangenehme Erfahrungen vermeiden und ganz auf die sportliche Variante des Boxens setzen will, sollte sechs Monate Vorbereitungszeit vor dem ersten Sparring, dem Trainingskampf, einkalkulieren, rät Weekend-JoumalCoach und Sportmediziner Alois Teuber, der schon Boxgrößen wie Henry Maske betreute. Während dieses Zeitraums werden die Grundlagen in Ausdauer und Boxtechnik gelegt: „Die körperliche Fitneß erreicht man durch kontinuierliches Lauftraining”, sagt Teuber. Das klassische Seilchenspringen, Boxgymnastik und das Erlernen der verschiedenen Schlagtechniken sorgen für den letzten Schliff, bevor der Boxneuling in den Ring steigt.

Nach dieser Vorbereitung dürfte es kein Problem sein, das frisch erworbene Können einmal im „Real Fight Club” unter Beweis zu stellen. Voraussetzung: Man ist gerade in London oder New York. In diesen Metropolen organisiert der Club Boxkämpfe zwischen Managern. Dabei tritt nicht nur die zweite oder dritte Garde des Managements gegeneinander an, sondern sogar leibhaftige Vorstände.

Wer sich bei diesen Boxkämpfen eine Prügelei vor johlender Kulisse vorstellt, liegt daneben. Hier geht es um einen fairen sportlichen Wettbewerb, der dazu noch wohltätigen Zwecken dient: Denn die Erlöse aus den Real-Fight-Club-Events werden wohltätigen Zwecken zur Verfügung gestellt. Die „Financial Times” zeigt sich sichtlich angetan vom Gentleman-Boxen und attestiert diesen Events eine große Zukunft, wenn sie feststellt: „Das Weiße-Kragen-Boxen wird Golf den Rang ablaufen.”

Auch wenn das hoch gegriffen ist: Mittlerweile hat der „Real Fight Club” seine Fühler auch nach Frankfurt ausgestreckt, Deutschland könnte auch ein Thema werden. Doch bevor MG Technologies Chef Kajo Neukirchen mit dem Deutsche-Bank-Vorsitzenden Josef Ackermann in den Ring steigt, ist noch Überzeugungsarbeit zu leisten. „Deutsche Führungskräfte sind im Gegensatz zu ihren englischen und amerikanischen Kollegen zu sehr in Konventionen verhaftet. Sie schätzen die Sicherheit und nicht die Auseinandersetzung im Boxring”, sagt Hoffmann. Auf Helvetia-Mann Stützer trifft das nicht zu. Der Mann ist auf den Geschmack gekommen und steht für schlagkräftige Auseinandersetzungen gerne zur Verfügung.

Die eigenen Grenzen überwinden

„Mann gegen Mann. Mit gleichen Handschuhen, gleichem Gewicht, im gleichen Ring, in der gleichen Runde”, sagte einmal der ehemalige Valser-Chef Donald Hess, der seinen Jungmanagern bei Stellenantritt zwanzig Boxlektionen geschenkt hat – nicht immer zu deren Freude. Er habe damals im Boxring immer gleich gesehen, ob jemand cholerisch, ängstlich oder distanziert sei. „Und wer zu Boden geht, ist draußen. Und eine Zehntelsekunde Unachtsamkeit reicht aus, um zu verlieren.”

„Boxen erfordert höchste Aufmerksamkeit”, sagt Charly Bühler, in dessen legendärer Boxschule in Bern nicht nur ehemalige Profiboxer wie der Bundeshausweibel Fritz Chervet oder Sepp Iten trainiert haben, sondern auch hohe Beamte aus dem Bundeshaus – unter anderem Daniel Eckmann, der ehemalige Kommunikationsberater von Kaspar Villiger und neue stellvertretende SRG-Generaldirektor – oder Bundesratssprecher Achille Casanova. Auch der Direktor des Bundesamtes für Verkehr, Max Friedli, war seinerzeit Uni-Meister im Boxen.

„Wenn dir jemand einen Meter gegenübersteht, der dich schlagen will, dann mußt du dich auf den Augenblick konzentrieren”, weiß Bühler. „Beim Boxen kann man hervorragend den Kopf leeren, denn während dem Sparring kannst du an nichts anderes denken. Du bist mental präsent wie sonst nie.” Dazu fordere Boxen verborgene Charaktereigenschaften heraus. „Ein aggressiver Mensch lernt, sich zu verteidigen. Ein ängstlicher hingegen übt den Angriff.”

Diese Meinung vertritt auch Kai Hoffmann aus Frankfurt, der mit Managern in den Ring steigt, um danach psychologisch über das Erlebte zu reflektieren. Wenn jemand sage, daß er etwas nicht könne, dann scheitere er an eigenen Grenzen, sagt Hoffmann. „Jeder Mensch hat Blockaden, die sich beim Boxen aufarbeiten lassen. Denn in einer körperlichen Konfliktsituation gerät man an eigene Grenzen.”

„Ich spüre im Ring, wie jemand psychologisch funktioniert”, sagt Hoffmann. Ein Zwangsneurotiker achtet total auf die Technik, ein Konfliktscheuer geht eher zurück. Wenn jemand immer gleich hart angreift, dann läßt dies auf eine gewisse Rücksichtslosigkeit gegenüber Mitmenschen schließen. „Jeder fährt seine Strategie, die er unbewußt im Laufe seines Lebens erlernt hat. So kommt beim Boxen immer die Lebensgeschichte zum Ausdruck.” Während des Boxens sei das kognitive System stark heruntergefahren, sagt Hoffmann, wogegen das lymbische System aktiv sei. So werden emotionale und unbewußte Schemen sichtbar, die in einer „normalen” Situation verdrängt werden. „Man erlebt die Ausnahme in der Selbstkompetenzerfahrung”, meint Hoffmann.

Ein wichtiger Lernprozeß im Boxen besteht darin, Angriffe nicht persönlich zu nehmen. Und die Selbstachtung zu bewahren und sie in Konfliktsituationen durchzusetzen. Während man sich im Beruf oft über ein Fremdbild definiert, also darüber, wie einen die anderen sehen, wirft einen die archaische Kampfsituation zurück auf sich selbst. Übrig bleibt der Körper, der ums Überleben kämpft. Der Boxer verläßt seine gesellschaftliche Komfortstellung und öffnet seine Grenzen in Richtung Gegner. „Der Mensch geht so ganz alleine in der Handlung auf”, sagt Hoffmann, „womit er bei sich selbst angelangt ist.”

Hoffmann Seminare sehen wie folgt aus: In einer ersten Sitzung werden Ziele formuliert, wonach untersucht wird, was das Erreichen dieser Ziele verhindert. Dann wird in den Ring gestiegen, worauf in einer nächsten Sitzung über das Erlebte gesprochen wird. Blockaden werden durch die Artikulierung bewußt gemacht. Im Vergleich zur psychoanalytisch orientierten Gesprächstherapie sind intellektuelle Eskapaden in der konfrontativen Kampfsituation nicht möglich.

„Ich hatte einmal einen sehr qualifizierten Banker im Coaching, der konfliktscheu war und in Sitzungen immer beim ersten Widerstand nachgab”, sagt Hoffmann. „Wir stellten in einer Gesprächssitzung fest, daß dieses Verhalten auf seine Erziehung zurückzuführen war, da seine Eltern ihm sagten, daß er Konflikten aus dem Weg gehen solle. Als Schüler wurde er oft verprügelt, und so suchte er immer neue Wege, um nach Hause zu kommen. Er entwickelte so Konfliktvermeidungsstrategien, die ihn als Folge hinderten, sich gegen andere Menschen und Meinungen durchzusetzen. Dies hat sein Verhalten nachhaltig geprägt – bis in die Geschäftssitzungen.”

Als der Banker den Coach Hoffmann beim Sparring dann einmal geschlagen habe, habe er sich auch sofort entschuldigt. Hoffmann habe ihm gesagt, daß er im Ring sei, um zu schlagen. „Wir haben dann intensiv den Double-Jab geübt. Mit diesem doppelten Geradeschlag der Führerhand lernte der Banker, in Sitzungen nicht beim ersten Widerstand aufzugeben, sondern nochmals nachzuhaken.”

Ob man mit psychologisch begleitendem Coach trainiert oder einfach in die lokalen Boxklubs geht – Boxen fordert heraus. „Und Boxen macht auch immer ein wenig Angst”, meint Charly Bühler. Angst ist zurzeit ein weit verbreitetes Gefühl: Angst vor Stellenverlust, Terroranschlägen und einer Zukunft, in der Gewißheiten bröckeln. Nur bekommt diese Angst im Boxring ein Gesicht. Ein guter Grund also, in den Ring zu steigen, um dieser Angst zu begegnen. Und sie im besten Falle zu überwinden.

Francis Müller

Box dich zur Führungskraft!

„In New York wäre es im Jahre 1989 fast zu einer Schlägerei in einer Chefetage gekommen. Zwei CEOs verfeindeter Versicherungsunternehmen saßen sich gegenüber, haßten einander bis kurz vor dem Kontrollverlust, schrieen ihre Wut unverblümt heraus und wollten gerade aufstehen, um loszulegen, da hielten ihre Assistenten sie zurück, nicht jedoch ihre Wut.”

Schnell wird durch die Anfangszeilen meines neuen Buches „Boxen & Managen – Eine Praxisanleitung für Führungskräfte und alle, die geradlinig sein wollen” klar, worum es geht. Golf reicht der Managerriege schon lange nicht mehr als sportlicher Ausgleich zum stressigen und aufreibenden Berufsalltag aus, Mann und Frau steigen in den Ring. Manager gegen Assistent, Chef gegen Mitarbeiter – was auf den ersten Blick an den Film „Fight Club” von David Fincher denken läßt, ist jedoch das kontrollierte Herauskristallisieren von Persönlichkeiten auf dem Weg eine erfolgreiche Führungskraft zu werden. Meine Erfahrungen aus den psychologisch begleitenden Boxtrainings und Firmenwettkämpfen belegen eindrucksvoll, wie die Werte des Boxens entscheidende Führungsqualitäten, wie beispielsweise Mut, Zielstrebigkeit, Präzision, Selbstvertrauen, Entschlossenheit, Respekt und Disziplin, stärken.

In Konfliktsituationen begegnen Menschen sich ganz neu. Durch Erfahrungen beim Boxen kann profitiert werden, indem man lernt, mentale Barrieren und Ängste zu überwinden, persönliche Werte und Grundeinstellungen neu zu positionieren, Stärken und Schwächen auszubalancieren und innovative Strategien und Taktiken für den beruflichen und privaten Alltag zu entwickeln.

Ich selbst steige seit geraumer Zeit mit meinen Klienten in den Ring, um anhand eines psychoanalytisch-systematischen Boxcoachings mein Gegenüber zu analysieren. Im Boxcoaching geht es um die Übertragung der Verhaltensmuster des Klienten auf mich. Es geht um die Fragestellung, was der Klient in mir sieht, wie sich das in seinem Ring-Verhalten äußert, und wie dies auf reale Arbeitssituationen übertragbar ist. Die Konfliktsituation beim Boxen reaktiviert Projektionen und Verdrängungsmechanismen und rückt persönliche Ziele und Wünsche in den Vordergrund. Außerdem kommen kognitive Wirklichkeitskonzeptionen und Ängste zur Geltung, die sich jeder Einzelne selbst auferlegt. Dies kann beim Boxen aufgebrochen und veranschaulicht werden.

Zum Beispiel hatte ich mal einen Klienten in einem Boxcoaching, der von seinem Arbeitgeber zu mir geschickt wurde. Der Mann war ein hochqualifizierter Mitarbeiter mit wirklichen Erfolgsaussichten in seinem Beruf, allerdings war er absolut konfliktscheu und durchsetzungsschwach. Schon als Kind wurde er von seiner Mutter stets auf die zunehmende Rücksichtnahme der eigenen Wünsche gegenüber anderen hingewiesen. Er hatte Angst vor dem Verletztwerden und dem Verletzen anderer. Während des Boxens bat er mich plötzlich, doch einmal so richtig zuzuschlagen. Auf seine eigene Verantwortung versetzte ich ihm einen gekonnten Schlag, so daß er für wenige Sekunden ohnmächtig war. Diese Wahrnehmung war für den Klienten ein kognitiver Durchbruch, da er anhand seiner Situation sehen konnte, daß das Verletztwerden in Wirklichkeit keine so schlimme und schreckliche Erfahrung ist, wie er zuvor vermutet hatte.

Ich zeige meinen Klienten, daß Schwierigkeiten, beruflich oder privat, anhand von Verhaltensmustern eines Boxers zu erkennen und zu überwinden sind. Genau wie ein Boxer im Ring, greift man im tagtäglichen Führungskampf die Techniken und Verhaltensweisen des „Gegners” und nicht die Person als solche an. Dabei darf man die Tugenden, wie die Wertschätzung und der Respekt des Menschen, Selbstvertrauen und Glaubwürdigkeit nie aus den Augen verlieren. Denn erst, wenn ich mir selbst vertrauen kann, kann ich auch anderen vertrauen.

Wichtig ist auch die Reduzierung der eigenen Aggressionen. Es kann in Konfliktsituationen, genauso wie im Boxen, nicht um die Vernichtung des „Gegners” gehen, sondern allein um das Sichdurchsetzen, das Kennenlernen und die Beherrschung der eigenen Gefühle. Ich greife nicht eine Person, sondern die Technik und das Verhalten des Gegenübers an. Das Gefühl des Anerkanntsein und des Anerkennens muß hier im Vordergrund stehen.

Wichtig ist vorab die Besprechung der persönlichen Ziele. Durch das Boxen treten persönliche Verhaltensweisen in Erscheinung, die bei einfachen Gesprächen nicht zu Tage kommen. Dabei muß man auch die Angst des Verlierens überwinden, denn die eigentliche Größe gebührt dem Unterlegenen. Dieser muß sein Verhalten und seine Technik neu durchdenken, um daraus Erkenntnisse zu ziehen. Boxen ist im Rahmen des Coachings somit kein Ventil, um Aggressionen auf- und abzubauen, sondern ein äußerst hilfreiches Mittel, von einem erfahrenen Trainer die eigene Persönlichkeit beschreiben zu lassen. So können Schwierigkeiten und Fehler im Verhalten aufgedeckt und neue Strategien erarbeitet werden, so daß jeder merkt, daß mehr in einem steckt, als man im Vorfeld vermutet hätte.

Kai Hoffmann

Mehr Biß!

Zwei Sandsäcke, eine Kraftecke, ein kleiner Ring. In der spartanisch ausgestatteten Sporthalle in Frankfurt an der Oder trainiert ein junger Mann – linke Gerade, rechte Gerade, Haken und wieder von vorn. Der Trainer kommentiert jeden Schlag: „Deckung höher, beweg dich, los!” Seit Jahren geht das schon so. Da bricht es aus dem Boxer heraus. „Lassen Sie mich doch einfach mal arbeiten, nach innen horchen, mich selbst überprüfen”, schreit er.

Henry Maske bezeichnet das, was damals zwischen ihm und seinem Trainer Manfred Wolke ablief, „meine Entpuppung”. Endlich wollte der Boxprofi „selber entscheiden, was ich als Nächstes tue, und Verantwortung für mich selbst übernehmen”. Wolke verstand und akzeptierte, daß Maske seinen eigenen Stil finden und durchsetzen mußte. Heute ist sein Schüler zwölf Jahre und elf Weltmeistertitel weiter. Im Ring war Maske „wie Wasser”, urteilt Kai Hoffmann: ausweichen, den Gegner kommen lassen, im entscheidenden Moment zuschlagen. Der promovierte Philosoph und Psychoanalytiker, der in Frankfurt eine Praxis für Managementberatung und Coaching betreibt, boxt selbst seit 25 Jahren. Auf Wunsch steigt er mit seinen Kunden in den Ring, Box-Coaching nennt er das. Nackt bis auf Handschuhe und Shorts zeige selbst der härteste Hund oft wenig Biß.

Hoffmanns Boxring ist symptomatisch für das tägliche Versagen im Business: Nach einer Untersuchung des US-Meinungsforschungsinstituts Gallup können 80 Prozent der Arbeitnehmer ihre Ideen, Talente, Wünsche im Job nicht durchsetzen. Sie fühlen sich ausgebremst, abgebügelt, platt gemacht. Alles Verlierer? Nein, denn Durchsetzungskraft läßt sich lernen.

Einem Personalmanager, der trotz Vorgesetztenstatus in Teambesprechungen mit seinen Argumenten nicht durchkam, brachte Hoffmann den Doppel-Jab bei: zwei Schläge kurz hintereinander. Auf die Teambesprechungen übertragen bedeutet das, nicht gleich beim ersten Widerstand einzuknicken, sondern sofort ein weiteres Argument nachzuschieben. Der Personaler hielt sich fortan die Situation im Ring vor Augen, wenn er verbal angezählt war, und setzte häufiger seine Meinung durch.

Zuweilen spürt Hoffmann Beißhemmungen in der Kindheit seiner Kunden auf. Ein Banker hatte aus Angst vor einem Klassenkameraden seinen Schulweg immer weiter ausgedehnt, um Begegnungen der gewalttätigen Art zu vermeiden. Seine Eltern bestärkten ihn darin, Konflikten auszuweichen. 20 Jahre später war er auf dem Sprung in eine Führungsposition, allerdings zögerte sein Vorgesetzter noch, weil er ihm den nötigen Mumm nicht zutraute. Im Boxcoaching hatte der Banker sein Schlüsselerlebnis, als er nach etlichen Aufforderungen zuzuschlagen tatsächlich traf. „Da merkte er, daß er einem anderen weh tun konnte, ohne ihn zu verletzen”, erzählt Hoffmann. „Ich sagte ihm auch noch, er solle aufhören, dauernd zu lächeln. Von da an hatte er dieses Funkeln im Blick, das er, wie mir sein Chef sagte, auch ins Büro mitnahm.”

Jemandem weh tun, ohne ihn zu verletzen – wer das kapiert, braucht sich nicht zu ducken. „Wir trennen im Boxen zwischen Körper und Person”, sagt Hoffmann. „Mein Schlag gilt der Boxtechnik des Gegners, nicht ihm selbst.” Genauso wenig zielt die hartnäckig vertretene Meinung am Arbeitsplatz darauf, den Andersdenkenden zu demütigen. Ein Wettstreit der Argumente, sonst nichts. Es gewinnt der bessere Denker.

Hart aber herzlich

Stellen Sie sich vor, Sie treffen sich eines abends mit einem Ihrer Wettbewerber. Sie wollen weder gemeinsam zu Abend essen, noch über Kooperationen sprechen oder über die Schwierigkeiten des Unternehmerlebens. Sie wollen sich einfach mit ihm prügeln. Dafür legen Sie Krawatte und Anzug ab, steigen mit ihm in einen miefigen Keller und holen die Boxhandschuhe raus. Sie halten das für abwegig und unrealistisch? Kai Hoffmann, studierter Philosoph, Psychoanalyst und Autor findet das ganz normal. Sein Motto: Von Muhammad Ali lernen, heißt Führen lernen.

In seinem Werk „Boxen & Managen” zeigt er, wie Führungskräfte im Boxring Ängste überwinden. Sie bekommen ein Gefühl für Zielstrebigkeit, Selbstvertrauen und lernen, mentale Barrieren zu überwinden.

Psychoanalytisches Training

Manager sind in den Höhen der Führungskräfte personell dort am meisten gefährdet, wo die Arbeitswelt von Erfolgsdruck, Karrierestreben und Terminen geprägt ist. Viele Manager verlieren im Laufe weniger Jahre in diesem Stressfeld den Bezug zu sich selbst – und damit zu ihren Familien, Freunden und Kollegen.

Die Auslöser für beispielsweise Angstausbrüche, Aggressivität, Burn-out, für Gefühle der Leere oder Einsamkeit sind unterschiedlich. Doch zwei Ursachen bleiben den Ereignissen meist gemeinsam: das Vertdrängen traumatischer Erfahrungen in der Vergangenheit sowie das Ignorieren individuellster Wünsche oder Veranlagungen zugunsten der Karriere.

Um diese Stolpersteine von der Karriereleiter wegzuräumen, ist es inzwischen auch in Deutschland Mode geworden, die störenden Symptome im Verhalten wegzutherapieren. Unternehmensberatungen bieten Seminare an, beispielsweise zur Beeinflussung der Selbst-und Fremdwahrnehmung oder Workshops zum Training effizienter Regeln für den besseren Verhaltensstil in den Arbeitsprozessen eines Unternehmens. „Werde der, der du sein kannst” lautet manches Motto von Wochenendseminaren. Verhaltens- und Denkweisen, Reaktionsmuster oder die Arten des Sprechens werden dort analysiert: Hier verhältst du dich kindisch, in dieser Situation denkst du umständlich, unter Stress reagierst du kopflos, zu deinem Chef sprichst du wie ein Kind.

Motivationsseminare gehen bereits in die Milliarden. Und doch – Fälle von Depressionen, von Gefühlen der Selbstentfremdung, Antriebsschwäche oder Apathie bis hin zum Selbstmord sind bei Führungskräften immer wieder anzutreffen. Hier zeigt sich etwas, was sich nicht trainieren, kontrollieren oder einfach beseitigen lässt, und sei es mit noch so menschlich scheinenden Begriffen verbrämt wie „Transaktion der Bedürfnisstruktur„, das „Kind im Erwachsenen” oder „Wunschentfaltung in der Firma”.

Gerade im Management mit seinem Macht- und Konkurrenzstreben ereignet sich eine fatale Selbsttäuschung durch Prestige, Status und Geld. Der meist selbst gewählte Arbeitsdrill von Managern funktioniert dabei häufig als Trimmpfad der Verdrängung. So nützt der Berufsalltag oftmals auch dazu, das eigene Schutz- beziehungsweise Abwehrverhalten zu sichern gegen irreale, phantasierte, infantile, insgesamt nicht real begründete Ängste, Depressionen, Scham- und Schuldgefühle.

Das wird oft teuer bezahlt, zuerst mit Selbstverleugnung, falschen Kompromissen, dem Verlust der Selbstachtung und der Ausgliederung der privaten Sphäre, schließlich mit körperlichen und psychischen Leiden. Dabei werden leicht die beiden Faktoren – einerseits unbewusste Konflikte, andererseits unbefriedigende Arbeitsbedingungen – miteinander verwechselt: Macht nach der Chef aggressiv, weil der eben nun mal so ist, wie er ist, oder weil er in mir ein unbewusstes Aggressionsmuster wachruft, das mit dem So-Sein des Chefs nichts zu tun hat?

Manager stärken beispielsweise ihr Ich mit Hilfe des Neurolinguistischen Programmierens (NLP), auch „Power-Prinzip” genannt. Oder probieren es rnit Autosuggestion („Ich bin gut”, „Ich bin stark”, „Ich bin selbstbewusst”) oder der Transaktionsanalyse, die Gefühle, Wünsche, Ängste oder Triebe mit „Schlüsselwörtern” wie „Leiden, Spielen, Genießen” kategorisiert. Der Zweck solcher populären Vereinfachungen einer Persönlichkeitsentwicklung in überschaubar-berechenbare Unterteilungen heißt: effektive Nutzbarkeit für den kommunikativen Handlungsraum eines Unternehmens. Rationalität bleibt das Prinzip der Heilung in Form der Kontrolle. Die individuellen Tiefen der Psyche bleiben weitgehend unberührt.

Eine Aufarbeitung unbewusster Konfliktstellen versuchen dagegen psychoanalytische Managementberatungen, die Symptome an ihren individuellen Ursachen ergreifen. Ein Symptom – etwa Redeangst oder Kontrollwahn – verbirgt in sich etwas, das nicht zum Vorschein kommen darf und verdrängt bleibt, weshalb das Symptom als Kompromiss zwischen Verdrängtem (zum Beispiel Angst) und Verdrängendem (Ich-Kontrolle) den Menschen oft quält, als eine Art Notausgang der falschen Lösung.

In psychoanalytischen Beratungen erfahren Manager, dass ihre Symptome meistens durch eigene Verdrängungsleistungen entstanden sind. Der Mensch lernt mit Beginn seines Lebens, sich nicht nur vor dem Außen einer Ich-fremden Umwelt zu schützen, sondern auch vor unliebsamen Affekten und Emotionen. Da werden Dämme des Verdrängens und Verleugnens errichtet gegenüber seelischen Zuständen, die vom Bewusstsein als nicht übereinstimmend mit den Erwartungen der Umwelt erachtet werden.

Das wagen hierzulande nur wenige Manager, denen die Karriere häufig zur einzigen Berufung geworden ist. Das personalwirtschaftliche Effizienzdenken der Unternehmensberatungen plant eben lieber eine reibungslose Mobilisierung von Ressourcen und Motivationen der Führungskräfte und Firmenmitarbeiter.

Dr. Kai Hoffmann

Lehren aus dem Ring

Boxen steht für den Kampf des Menschen um und mit sich selbst. Und zwar in seiner reinsten Form, weil die Spielregeln des Alltags ausgeblendet bleiben. Am Beispiel Boxen lässt es sich besser als bei jedem anderen Sport über den Menschen und sein Verhalten reflektieren. Das Verhalten des Boxers im Ring ist gewissermaßen der Extrakt seines Handelns außerhalb des Rings: Jeder boxt so, wie er psychisch gestrickt ist. Umgekehrt folgt daraus: Jeder, der sich über Strategien in seinem Bereich Gedanken macht – zum Beispiel als Manager -, kann von Boxerstrategien viel lernen. Im Ring entscheidet sich sehr schnell, was erfolgreich ist und was nicht. Im Folgenden stellen wir vier typische Boxerstrategien vor. Zwei davon sind sichere Siegerstrategien, von den anderen beiden lässt sich eher lernen, wie man es nicht machen sollte.

Siegertyp I: Der kontrollierte Angreifer

Der Boxer: Einer der größten Strategen des kontrollierten Angriffs war Muhammad Ali in seinen frühen Kämpfen. Im Ring tänzelte er dem Gegner vor der Nase herum, neckte, foppte, reizte ihn. Er kämpfte mit einer selchen Überzeugungskraft, die Zweifel immer nur beim Gegner aufkommen ließ. Ali dachte global und handelte lokal. Er sah über die einzelnen Attacken hinweg zum Rand des Rings, sah dort den Kampf als Ganzes und von allein – sein Ziel: Siegen. Alis Haltung bestimmte dieses Ziel: Ich hin der Größte und werde großartig siegen, ästhetisch, stilistisch, technisch und taktisch perfekt. Das gelang ihm meist so überzeugend, dass der Gegner oft innerlich kapitulierte und Teil der Siegesstrategie von Ali wurde. Dabei wusste Ali den Menschen vom Gegner des Boxrings zu unterscheiden und zeigte oft menschliche Größe nach seiner boxerischen Leistung, wenn er seine Gegner umarmte. Ali ging es in seinen Strategien allein um die Sache des Boxens.

Der Stil: Der kontrollierte Angreifer treibt voran, versucht mehr auszuteilen als einzustecken, behält die Übersicht und versucht, das Kampfgeschehen taktisch zu beherrschen. Er powert nicht drauflos, sondern teilt sich seine Kräfte entsprechen den Kampfetappen und seinen eigenen Reserven ökonomisch ein. Er überdenkt die eigenen Attacken zielsicher auf Systemlücken des Gegners hin. Kontrollierte Angreifer engen den Aktionsradius eines Rings schon mal auf Sandsackgröße ein. Ihr Machttrieb rechnet in Raumgrößen und Zeitmaßen: Sie kalkulieren in Zentimetern und Sekunden, messen ihre Schläge nach Abstand, Größe, Stellung und Bewegung zum Gegner ab. Sie sind gekennzeichnet durch höchste Konzentration in jeder Sekunde, Perfektion des Stils und begnadete Körperbeherrschung.

Die Lektion: Behalte dich selbst, den Gegner und das Kampfgeschehen stets im Blick. Das Ziel ist niemals der Gegner – dessen Attacken markieren nur Etappen. Wer angreift, um ein Ziel zu erreichen, muss Strategien der inneren und äußeren Kontrolle entwickeln und bereit sein, sie regelmäßig dem Kontext anzupassen. Viele Führungskräfte jedoch greifen ihre Geschäftspartner, Kollegen oder Wettbewerber aus purem Eigennutz oder Machtgebaren an, meist nur, um den Status quo zu erhalten, ohne sich selbst verändern zu vollen. Diese Manager handeln lokal, ohne global zu denken. Ihnen bleibt Alis Wechselspiel von Nähe und Distanz fremd. Alis zweite Lehre: Studiere wie der Gegner tickt! Führungskräfte sollten sich mit ihren Kontrahenten oder Geschäftspartnern so intensiv beschäftigen, bis sie etwas entdecken, das sie für ihre eigene Zielerreichung verwenden können.

Mischtyp: Der unkontrollierte Angreifer

Der Boxer: Mike Tyson ist der Prototyp des unkontrollierten Angreifers, der am Gegner festklebt und nicht weiter als bis zu dessen Kinn denkt, blickt und agiert. Tyson boxte urkoordiniert, kopflos, oft blindwütig und stur. Immer nur im Vorwärtsgang und ausgerichtet auf die nächste Schwäche des Gegners. Ein paar WM-Fights ging’s gut. Doch seine unkontrollierten Angriffe lieferten den taktisch versierten Gegnern den Schlüssel zum Sieg.

Der Stil: Viele Menschen, die sich an solchen Vorbildern orientieren, schlagen sich den Lebenssinn gewissermaßen selbst aus den Köpfen und blockieren den eigenen Überblick. Sie haben nur kurzfristige Reflexe und fordern eine Ellenbogen-und-Wadenbiss-Haltung heraus: Sie dürfen sich nicht wundern, wenn sich ihr Gegenüber nur auf Ellenbogen und Wade konzentriert, nicht aber auf den ganzen Menschen. Häufig kommen Klienten zu mir in die Praxis, um solche Kampfstrategien zu erlernen: „Wie krieg‘ ich die Kontrahenten am schnellsten klein?” So funktioniert’s leider nicht. Starr aggressive Denkmuster führen zu Tunnelblick und purem Aktionismus, zu kurzfristigem Denken und ziellosem Handeln. Da entscheidet keine souveräne Person mehr. Viehhehr schnappen Handlungsmuster reflexartig zu, reagieren auf unmittelbare Reize – auf die kritischen Äußerungen eines Kollegen, die Rückzugstendenzen eines Konkurrenten oder auf feindlich gestimmte Fusionsmanöver größerer Unternehmen.

Die Lektion: Den Boxstil des unkontrollierten Angreifers bitte nicht nachahmen. Besser: Visionen bilden, die zielsicher über den Augenblick hinaus handeln lassen; emotional intelligent seine Mitarbeiter führen und sich an ihnen orientieren; strategisch ausgerichtet bleiben und Prozesse reflektieren; gemeinsam Ziele vereinbaren; für den Menschen Verständnis zeigen.

Siegertyp II: Der aktive Verteidiger oder der Konterer

Der Boxer: Muhammad Ali verteidigte sich in seinen späteren Kämpfen genial aktiv. Beispielsweise im legendären Kampf gegen George Foreman in Kinshasa 1914. Ali nutzte ein paar Runden lang die Seile, drückte seinen Rücken hinein, legte sich wie in eine Hängematte zurück, wehrte Foremans unermüdliche Schläge leicht ab und führte fast gelassen das Repertoire der aktiven Verteidigung vor: das Nachschlagen (der Boxer wehrt den gegnerischen Schlag ab und schlägt darauf unmittelbar nach), das Mitschlagen (der Boxer schlägt gleichzeitig mit den gegnerischen Schlägen mit) oder das Gegenschlagen (der Boxer nimmt den gegnerischen Schlag vorweg und kommt dann dem Angriff durch blitzschnelles Gegenschlagen zuvor). Ali gewann den Kampf, nachdem Foreman sich wie ein unkontrollierter Angreifer restlos ausgepowert hatte. Es sollte also endlich Schluss gemacht werden mit dem Klischee, Verteidiger stünden mit dem Rücken an der Wand und seien auf der Verliererseite.

Eine Spezialtechnik der aktiven Verteidigung ist das Kontern. Henry Maske hat diese Technik zum Kampfstil seiner Siege veredelt. Er provozierte den Gegner, suchte dessen Angriff zur eigenen Aktion, war aggressionsbereit und führte strategisch aus der Defensive heraus. Der Angriff des Gegners wird zu dessen Falle: Der Konterboxer weicht vor dem gegnerischen Schlag aus und setzt wie aus einer Bogenspannung heraus zum Konterschlag an. Der Kontertyp wirkt aggressiver und progressiver als der bloße Verteidiger; seine Schläge zielen unmittelbar auf den Angriff. Maske stand permanent sprungbereit unter Strom, defensiv in der Basishaltung und zugleich offensiv im Kontern.

Der Stil: Der aktive Verteidiger wartet ab, überlässt die Initiative zunächst dem Angreifer, bereitet aber aus seiner defensiven Haltung seine Verteidigung zielsicher vor, hält den Kontrahenten in Schach und das Kampfgeschehen unter Kontrolle.

Ein Beispiel der aktiven Verteidigung aus dem Management: Der Personalentwickler eines Finanzdienstleisters wird während eines Führungstrainings, das er leitet, von Mitgliedern der Geschäftsleitung angegriffen. Die fühlen sich kritisiert und sehen ihre Werte altgedienter Führungsstile in Frage gestellt. Der Personalentwickler macht es Ali nach. Natürlich verstünde die Geschäftsleitung auf ihre Weise zu führen, wehrt er zunächst ab, doch die letzte Mitarbeiterumfrage, schlägt er nach, habe tatsächlich ergeben, dass die Führungskräfte zu wenig motivierten. Die Geschäftsleitung pariert, der Fokus der Führungstrainings läge zu sehr auf der Beziehungsebene, und der Personalentwickler schlägt mit, gerade die Beziehungsebene sei, so die Beanstandung der Mitarbeiter, für deren Motivation entscheidend. Das Gegenargument der Geschäftsleitung, altbewährte Unternehmenswerte nicht aufgeben zu wollen, nimmt er vorweg und schlägt dagegen vor, dringend einen Wertedialog zwischen Führung und Mitarbeitern zu initiieren. Die Geschäftsführung, beeindruckt von dieser progressiven Verteidigung, lenkt konstruktiv ein.

Die Lektion: Nach dem Motto „Lass kommen, wart ab und schlag zu!” lässt es sich trefflich siegen, wenn diese Strategie über den Augenblick der Verteidigung hinausgeht. Das macht den Boxer, die Führungskraft, den Menschen selbstbewusst, zielstrebig, souverän und kompetent. Der Personalleiter im Beispiel verteidigt sich im Stil eines Konterboxers. Er hat die Attacke seiner Kunden provoziert, um seine Ziele verfolgen zu können. Weil er stärker in der Reaktion als im Angriff ist, sucht er den Angriff von außen. Er hat seine psychische Grundhaltung, defensiv zu sein, akzeptiert. „Ich boxe, wie es meiner Veranlagung entspricht”, sagte Henry Maske einmal.

Verlierertypen: Ausweichler, Einstecker, Angstbesessene

Der Boxer: Floyd Patterson, zweifacher Weltmeister, erinnert sich an seine Niederlage 1965 gegen Ali (damals noch Cassius Clay): „Ein Glücksgefühl überkam mich. Ich wusste, dass das Ende bevorstand. Während Clay Punch um Punch landete, war ich groggy und glücklich. Ich wollte von einem richtig guten Punch umgehauen werden.” Ein solches Verhalten ist allzu menschlich. Wer an seine Kräfte nicht mehr glaubt, resigniert und unterwirft sich.

Der Stil: Verlierertypen verlieren nicht, weil der andere besser boxt, sondern weil in ihnen etwas verlieren will. Die Boxerweisheit, dass der Schlag, der trifft, oft auch der Schlag ist, der zugelassen wurde, charakterisiert diese Einstellung. In jedem stecken schwache Persönlichkeitsanteile. Der Zauderer, der Ängstliche, der Zweifler, der Feigling schlummern in uns allen neben den starken inneren Typen wie dem Kämpfer und denn Wagemutigen. Bei manchen Menschen gewinnen aber die Leisetreter die Oberhand. Solche Typen dulden im beruflichen Alltag viel und warten. Sie hoffen, der Ringrichter, das Schicksal, der Chef oder sonst ein Erlöser wird kommen und dem Ganzen ein Ende machen. Sie leben nach dem Motto: „Leiden ist leichter als handeln.”

Die Lektion: Um aus dieser fremdbestimmten Haltung auszubrechen, sollte man sich fragen: Welche Preise will ich wozu noch weiter zahlen? Selbstachtung gegen Fremdüberschätzung? Autonomie gegen Außensteuerung? Welche starken inneren Typen stecken in mir? Was brauchen sie, um mobilisiert zu werden? Schluss mit dem Teufelskreis der Selbstzweifel, deren Schwächesignale den Sieg an andere delegieren. Hierzu gehört freilich der Mut zum Risiko, auch mal abgelehnt zu werden. – Na und?

Kai Hoffmann

Hemmungslos zuschlagen!

Hey, sich nach oben durchzuboxen, das braucht dieser Eins-Neunzig-Typ doch gar nicht mehr: siebzig Angestellte, Dienstwagen, höheres sechsstelliges Jahresgehalt – aber läßt sich die hübsche Fresse polieren. Das tut dem Geschäftsführer der Köln-Ticket GmbH Johannes Müller, 40, nicht weh („Mein Nasenbein ist eh schon mehrfach gebrochen”), sondern einfach nur gut: bum, bum, patsch, patsch. Müller schlägt sich gerade mit dem obersten Medizinmann der nordrhein-westfälischen Polizei, Dr. Oliver Heidinger, 39. Ganz ohne Nadelstreifen, jeder mit zwölf Unzen Leder über den bandagierten Händen. Vorsicht: bloß kein Blut, Spaß muß sein.

Die Kölner Halle von Deutschlands ältestem Boxclub, Colonia 06, riecht nach Bohnerwachs und Schweiß. Rund um den 4,50 mal 4,50 Meter großen Ring hängen verhauene Sandsäcke, vertrocknete Siegerkränze und vergilbte Boxplakate, auch die von Ehrenmitglied Jack Dempsey. Eminem donnert aggressiv mit seinem „Mosh” aus den Boxen, während Hans Ehle, 42, den beiden Kontrahenten assistiert: „In den Gegner reinstellen … rantasten … täuschen … schnellere Side-Steps … Konzentration … Wo ist der Raum? … Deckung hoch … jetzt angreifen …” und so fort.

Der frühere deutsche Vizemeister im Mittelgewicht trainiert seit vierzehn Jahren mit leichter Führhand Führungskräfte-Anwälte und Ärzte, Banker und Börsianer, Weiße-Kragen-Manager eben. „Früher machten die Bosse einmal im Jahr Überlebenstraining mit Urschrei in der Wüste”, so Ehle kurzatmig in der Ringpause zwischen den Seilen. „Heute kommen sie wöchentlich in die Boxschulen, um ihr Ego aufzupolieren. Im Ring lernen sie alles, was sie im Job auf den Führungsetagen brauchen – Konzentration, Disziplin, Ausdauer, aber auch Dynamik, Angriffslust oder Defensive, ja sogar Finten und Finesse.”

Der Trend führt in Deutschland aus dem Sportkellern der Underdogs in die Kampfschulen für Karrieristen. Heidinger und Müller suchen mit Uppercuts und schnellen Geraden nicht nur die Anspannung vor der Entspannung. Seit Jahren trainieren sie zweimal die Woche, gemeinsam mit einem StahlVorstand, einem Thyssen-Manager, einem Mittelstandsunternehmer und einem WDR-Chef. „Ich gehe hier nach sechzig Minuten Seilspringen, Schattenboxen, Sandsacktraining und einigen echten, meistens fairen Runden immer viel ausgeglichener raus”, beteuert Johannes Müller. „Durchs Boxen habe ich die Ruhe und die Konzentration gewonnen, die mich vor Tiefschlägen im Job schützt.” Ähnlich argumentiert sein Sparringspartner Dr. Heidinger: „Für gelegentliche Einsätze bei Großdemos übe ich im Ring Streßabbau und Reaktionsschnelligkeit. Aber hier lerne ich auch Fairneß und Selbstdisziplin und finde meine Balance, um im Job nicht aufbrausend oder ungerecht zu sein.”

Auf eigene Faust seinen Adrenalinspiegel zu senken und eigene Endorphine auszuschütten, das hält auch Deutschlands bekanntester Coach-Guru für „den ersten Schritt zur Selbsterkenntnis und Selbstbestimmtheit”. Dr. Kai Hoffmann, 46, ist eine seltene Spezies aus Hirn und Muskelpaketen: 192 Zentimeter groß, Doktor der Psychologie, Psychoanalytiker und auch noch hammerhart durchtrainiert. Er betreut in dem schwarz-rot-golden beseilten Ring des Neu-Isenburger Clubs Seishin („Körper und Geist”) mehrere Manager aus Frankfurter Bank- und Versicherungsetagen. „Boxen ist Kopfarbeit”, so Hoffmann. „Wer im Ring lernt, durch seine innere Einstellung das Kampfgeschehen zu beherrschen, der schafft das auch in Konferenzen und Marathonsitzungen.” Schmerzhafte Schläge ins Leere können dem Manager nutzlose Überheblichkeit aufzeigen. Wer aber in kurzen Hosen Schläge austeilen oder einstecken könne, dem gelinge das in Nadelstreifen allemal. Er jedenfalls erkenne ziemlich schnell im Ring, ob ein Manager ein Choleriker, Neurotiker oder ängstlicher Zauderer sei. Nach den ersten analytischen Vorgesprächen garantiert Hoffmann seinen prominenten Führungskräften dann „Selbsterkenntnisse im Ring, die gelegentlich sogar ein blaues Auge oder eine blutige Nase rechtfertigen”.

Thomas Bittong, 58, ist heute Hoffmanns Opfer. „Taste dich ran … schnellere Schrittfolge … besser täuschen … die Linke führen … Schau deinen Gegner an; wer wegguckt, kneift auch im wahren Leben … ”, so treibt der Trainer ihn durch den Ring und teilt dabei auch aus – gut dosierte, leicht schmerzvolle Treffer. Bittong schwitzt, stöhnt, taumelt. Warum tut sich das einer wie er an, der bei der Allianz ein ganz Großer, hier aber einen Kopf kleiner als sein Guru ist. Der Generalvertreter für Hessen versichert unter anderem Filmproduktionen, Konzerttourneen, einen Autorennstall und Helikopter-Airlines. „Ich kann beim Boxen Blockaden abarbeiten, die ja jeder mal hat, die mich sonst in Business-Treffs behindern würden”, stöhnt Bittong nach der vierten Runde. Er ist erschöpft, aber glücklich. „In diesen Konfliktsituationen hier erkenne ich auch meine Grenzen, stecke Tiefschläge im Alltag besser weg.” Dieses und neue Ziele bespricht er einmal pro Monat mit seinem Psycho-Coach Kai Hoffmann – dann aber nicht im Ring, sondern in gemütlicher Runde.

Auch Olympiasieger Torsten May baut ängstliche, konfliktscheue Bosse in seinem Kölner Maylife Boxcamp wieder auf „Der Nahkampf im Ring weckt verborgene Kräfte, er macht sie fit für die Gesetze des Business-Dschungels.” Was den Managern der globalen Mobbing-Welt einst schon Muhammad Ali vorführte: Der Größte ertrug in seinem wohl größten Kampf, dem „Rumble in the Jungle” vor gut dreißig Jahren, sieben Runden lang mit stoischer Ruhe den Schlaghagel seines Gegners George Foreman, ehe er in der achten Runde überraschend angriff und den Kontrahenten wild entschlossen ausknockte.

Boxen & Managen

Paraden sind eine Abwehrtechnik im Boxkampf, die den Gegnerkommen und ihn dann wupps! – einfach straucheln lässt. Es kommt dabei nicht darauf an mit maximaler Anstrengung den Angriff zu blocken, sondern mit minimalen Bewegungen Attacken ein wenig aus der Bahn zu bringen. So wurde etwa der Vorstand einer deutschen Bank wegen einer Risikostrategie hart angegriffen die er von einer am gleichen Standort ansässigen Bank abgeschaut hatte. Er lächelte nur und parierte: „So what? lt Works!”

Was in den USA und England längst gang und gäbe ist setzt Kai Hoffmann in Deutschland als Vorreiter im Führunskräftetraining ein: psychoanalytisch-systemisches Boxcoaching. Wer dieses Buch zur Hand nimmt, wird schnell in seinen Bann gezogen und die anfängliche Skepsis schwindet mit jeder gelesenen Seite. Faszinierend, was man für sich von Muhammad Ali lernen kann und wie schnell im Boxring, wie der Autor auch anhand vieler Beispiele aus dem Geschäftsalltag erläutert, mentale Barrieren sichtbar werden.

Eine wirklich empfehlenswerte Lektüre für alle, die an Selbsterkenntnis und Persönlichkeitsentwicklung interessiert sind.

Durchboxen zum Erfolg

Immer mehr Hochschulen lassen zuschlagen. Genauer: Sie bieten Boxen als Hochschulsport an. Die Düsseldorfer zum Beispiel. Muss uns das schockieren, gar verletzen? Gar nicht. Fürs Leben lernen können wir davon – und das sogar theoretisch.

Erkenne dich selbst! Mit Boxen, rät ein Philosoph. Lust an Auseinandersetzung und Angst vorm Schmerz: Beide lassen sich nutzen, indem man sich mit ihnen statt gegen sie bewegt. Das zeigt Kai Hoffmann in seinem Buch „Boxen & Managen”. Der Titel sollte nicht abschrecken; auch wer Boxen (noch) nicht mag und kein Manager ist, wer noch studiert und seine Schritte ins Berufsleben plant, wird dieses kluge Buch mit Gewinn lesen.

Der promovierte Philosoph Kai Hoffmann hat eine in Deutschland bisher einmalige Methode entwickelt, psychoanalytisch fundiertes, systemisches Coaching mit dem Boxen zu verbinden. Ein Coach ist, kurz gesagt, ein persönlicher Berater, der aus seinem Kunden verborgene Fähigkeiten herauskitzelt und ihm die Kraft zugänglich macht, mit der er (oder sie) Blockaden und Ängste erkennt und meistert.

„Boxen ist realistisch und magisch zugleich”, schreibt Hoffmann; es stehe zunächst für einen Kampf zweier Menschen um einen Sieg nach Regeln, aber eben auch „für den Kampf des Menschen um sich selbst (…), für unvorhergesehene Veränderungen (…) und für das Bleibende, das Sein des Menschen”. Es geht um Haltung und Handlung.

Das Buch wendet sich teils beschreibend, teils im angenehm aufmunternden Ton an seine Leser, biedert sich dabei weder an, noch will es mit Fachjargon beeindrucken. Berichte und Analysen berühmter Boxkämpfe, lebenspraktische Philosophie und viele eindrucksvolle Fallbeispiele aus Hoffmanns Beratungserfahrung wechseln einander ab. Es geht um Stil und Ziel, um Angriff, Verteidigung, Deckung, Kampfführung zwischen Nähe und Distanz, um Sieger- und Verlierertypen, Angst und Vertrauen und vieles andere, was den Kampf im Ring, aber auch den Umgang eines Menschen mit sich und seiner Umgebung prägt.

Beim direkten körperlichen Zweikampf gibt es keine Lüge. Beim Boxen zeigen sich also höchst persönliche Eigenarten: Man stellt sich bloß – und das erfordert Mut. Dieser Mut aber ist schon der erste Schritt, will man sich von ungeliebten Gewohnheiten befreien. Nach einem Trainingskampf fragt sich der Boxer laut Hoffmann, wie und warum etwas (nicht) hingehauen hat und was er einmal anders probieren könnte. In eine Verhaltensvariante ohne Ring und Boxhandschuhe übersetzt, kann man so den Kommunikationskampf des Alltags zu eigenen Gunsten verändern.

Leider ist Hoffmanns Buch männerlastig. Sein gleichzeitig sachliches und leidenschaftliches Plädoyer fürs Boxen (samt Trainingsdisziplin), lässt sich allerdings gut erweitern auf andere Kampfkünste und schließt Frauen nicht aus. Es darf Spaß machen zu hauen oder Gegner aus der Balance zu wirbeln. Und vor allem: Nach dem Fallen wieder aufzustehen.

Melanie Suchy

Ring-Metaphern

„Nächste Runde im Tarifstreit eröffnet”, „Daimler-Chef Schrempp angezählt”, „Neuer Tiefschlag für Kleinanleger”: Die deutsche Sprache, vorneweg die vieler Wirtschaftsjournalisten, bedient sich gerne der Metaphorik aus dem Boxring.

Der Frankfurter Philosophie-Dozent und Unternehmensberater Kai Hoffmann hat die verbale Omnipräsenz des stupiden Kampfsports zur Grundlage einer ganz eigenen Managementtheorie gemacht. Sein Credo: „Wer als Manager boxen lernt, wird sich auf eine ganz neue Art und Weise entdecken, wird auf vielen Gebieten stärker werden – und vor allem besser und erfolgreicher führen lernen.”

Hoffmanns Buch „Boxen & Managen” versteht sich als Hilfestellung bei der Ergründung des eigenen Wesens. Denn spontane, instinktive Reaktionen erlauben es dem Boxer nicht, zwischen seinen Handlungen und Motiven einen Filter zu schalten wie etwa Ratio, Posen oder Gehabe. Wer boxt, „verhält sich unweigerlich auf der Basis seiner psychologischen Prägungen”, schreibt Hoffmann.

In der finalen Runde des Buches stellt der promovierte Psychoanalytiker seine 19 Prinzipien der Boxphilosophie vor, mit denen er das Selbstbewusstsein und die Selbstreflexion des Managers stärken will. Aufschlussreicher, weil weniger selbstverständlich ist jedoch Hoffmanns Typologie der Boxer – und damit auch der Führungskräfte. Zum Siegertypen kürt er den kontrollierten Angreifer. Was nach Otto Rehhagel klingt, gehört zur Grundausbildung des Boxsports.

Box-Coaching für Niedergeschlagene

Fünf, sechs, sieben… Aufstehen!

Manche landen nach einem beruflichen Rückschlag auf der Therapeuten-Couch – oder im Ring bei Kai Hoffmann: Der Coach und Philosoph trainiert gescheiterte Manager auf die harte Tour, Comeback-Faustregeln inklusive. Im Interview spricht er über Knockout und Burnout, über Nehmer- und Geberqualitäten.

KarriereSPIEGEL: Herr Hoffmann, Sie steigen mit Managern in den Ring, die im Beruf einen Knockout einstecken mussten. Können die meisten noch zurückschlagen?

Hoffmann: Da sag ich immer: Niemals scheitert der ganze Mensch, immer nur bestimmte augenblickliche Aspekte von ihm – Vorhaben, Erwartungen, Hoffnungen oder Projekte. Es gilt die Boxerweisheit: Niedergehen ist nie das Problem. Liegenbleiben schon. Wenn sie den Kampfgeist aufgeben wollen, rüttele ich die Selbstachtung der Klienten mit der Einsicht wach, dass Schmerzen der Niederlage vergehen, Aufgeben jedoch den Menschen ein Leben lang verfolgt. Dieser Konsequenz des Nicht-Handelns darf nicht ausgewichen werden. „Zurückschlagen“, also sich wehren oder weitermachen, können Menschen dann, wenn sie unumwunden ja zu sich selbst sagen und Mut haben, danach konsequent zu handeln.

KarriereSPIEGEL: Woran scheitern mehr Manager – am bösen Chef, an den Umständen, an sich selbst?

Hoffmann: Da müssen wir erst mal klären, was wir unter Scheitern verstehen. Ich scheitere nicht, wenn ich zum Beispiel eine Karrierestufe höher will, und der Chef sagt nein. Dann hat was nicht hingehauen, mehr nicht. Ich scheitere, wenn ich aufhöre weiterzumachen, wenn ich also am Boden liegenbleibe und aufhöre, an mich und mein Leben zu glauben. Außerdem, mal ehrlich – uns verletzt ja meist gar nicht das, was uns angetan wird, sondern immer nur, wie wir darauf reagieren. Also: Scheitern tun wir meist an uns selbst, an fehlendem Mut oder Selbstwertgefühl, was übrigens so eng zusammenhängt wie eine Faust mit dem Boxhandschuh.

KarriereSPIEGEL: Wie häufig folgt auf den Knockout der Burnout?

Hoffmann: Klingt sprachlich so, als hinge es zusammen, tut es aber nicht. Burnout ist das Aus unserer Energie im Dauer-Delay eigener Leistungsansprüche. Ich schaffe zu wenig, ich leiste nur 100 Prozent, ich darf beim nächsten Auftrag nicht nein sagen, die anderen sind besser als ich, da kommst du nie hin… und so fort. Dabei handelt es sich meist um Fremderwartungserfüllung und nicht um das Leben nach eigenen Werten. Nach einem Knockout diesen Workaholismus des Burnouts erst mal hinzukriegen, das zeugt von kurzfristiger Stehauf-Mentalität, allerdings nach fremden Ringglocken. Mittlerweile ist das Burnout so in Mode, dass beispielsweise in manchen Kreisen von Investmentbankern jemand fade daherkommt, wenn er nicht schon mal ausgebrannt war.

KarriereSPIEGEL: Manche Niederlage redet man sich also selbst ein?
Hoffmann: Wenn mir der Alltag einen Knockout verpasst hat, hängt viel von meiner Selbsterzählung ab. Also: Wie erkläre ich mir das, was ich da als Niederlage interpretiere? Ich verliere den Job, stehe auf der Straße, die nächste Miete ist fällig, um mich herum grinst mich die Umwelt an, als sei für alle anderen nichts geschehen und nur ich der einzige Verlierer – und jetzt kommt’s drauf an, wie ich zu mir selber stehe. Entweder ziehe ich mir den Stecker raus und schlurfe mit einem Ich-bin-auf-ewig-verdammt-Gesicht durch die Straßen. Oder ich atme und starte neu durch. Den Sieger erkennt man am Start – tja, den Verlierer übrigens auch.

KarriereSPIEGEL: Ihr krassester Fall?

Hoffmann: Da fällt mir der zweite Geschäftsführer eines Weiterbildungsinstitutes ein. Der hatte sein Ego manisch über Perfektionsmaßstäbe definiert, alles musste unbedingt hundertzwanzig-pro sein – „ich bin nur etwas wert, wenn mein Handeln makellos klappt“. Das komme von seinem Vater her: „Ich erkenne dich nur an, wenn du tiptop was leistest.“ Dann segelten mit der letzten Finanzkrise wöchentlich Absagen auf seinen Mahagoni-Tisch, die Freundin lief ihm weg, ein Bandscheibenvorfall legte ihn flach, Standorte des Instituts wurden geschlossen. Und was machte er? Er kehrte tatsächlich zurück zu den Eltern ins väterliche Geschäft, ist heute dort Buchhalter und kämpft mit dem Alkoholismus. Leider habe ich davon viel zu spät erfahren.

KarriereSPIEGEL: Und Sie persönlich? Lagen Sie auch schon mal am Boden?

Hoffmann: Oh ja, vor ein paar Jahren. Da hatten mir innerhalb weniger Wochen drei Hauptkunden Aufträge gestrichen, im Gesamtwert von mehr als einem halben Jahresumsatz. Zur selben Zeit, und ich dachte, die Welt verschwört sich gerade gegen mich, rasselten mir auch noch zwei Absagen von potenziellen Neukunden ins Haus, für die ich nächtelang Präsentationen ausgearbeitet hatte. Was dann passierte, hatte ich so noch nie erlebt: Mich zogen mit einem Mal Gewichte aus Mutlosigkeit, Selbstzweifel und Trübsinn schon morgens beim Aufstehen auf die Matratze zurück. Bumm. Die folgenden Monate glichen Tiefschlag-Touren, als rammte mir aus meiner eigenen Psyche täglich irgendein Persönlichkeitsanteil selbst was in die Fresse. Und dann stellst du dir die entscheidende Frage, die nur du selbst beantworten kannst: Wem kaufst du mehr ab, den Schlägen des Alltags oder deiner Selbstachtung? Dieser Glaube an sich selbst ist eine Lebensentscheidung. Von da kann dich zwar vieles immer noch umhauen, aber du warst am Meeresgrund und hast keine Angst mehr vor Pfützen, tauchst immer wieder auf. Diese Zeit will ich echt niemals gemisst haben.

KarriereSPIEGEL: Sie zeigen Managern im Box-Coaching, wie sie nach einer Niederlage auf die Beine kommen. Welche „Faustregeln“ für Stehaufmännchen kennen Sie?

Hoffmann: Wir können Schicksalsschlägen schon mal ausweichen, aber niemals uns selbst. Der Mensch darf seinen Selbstglauben nie, niemals verlieren. Und den kann uns keiner nehmen, nur wir selbst. Also Achtung! Wir haben ja das Laufen im Leben immer auch durch das Fallen und unser unablässiges Wiederaufstehen gelernt. Jedem Aufstehen wohnt doch auch ein Zauber inne. Und wenn die Angst hinzukommt, müssen wir sie akzeptieren als lebenswichtige Partnerin im Crash-Kurs unserer Persönlichkeitsentwicklung. Außerdem: Wer es wagt, mutig gegen widrige Umstände im Job zu kämpfen, hört auf, sich innerlich selbst anzugreifen. Wir vergrößern also unsere Selbstsicherheit im Wiederaufstehen, wenn wir möglichst täglich unsere selbst gebastelten Komfortzonen sprengen. Und da vielen Managern der Preis des Leidens niedriger erscheint als die Angst vorm Handeln, rufe ich denen im Kampfring des Lebens zu: Hast du vom Leiden genug, geh ran und handle! Kämpferisches Selbstvertrauen sucht geradezu die Angst auf, hält ihr stand und gleicht sie aus. Und dieser Mut macht Mut zu weiterem Mut, ansteckend wie das Lächeln jeder Heldin, jedes Helden.

KarriereSPIEGEL: Kommen auch Frauen in Ihr Box-Coaching?

Hoffmann: Klar, doch weitaus seltener als Männer.

KarriereSPIEGEL: Hatten Sie Klienten, die dem Boxen treu geblieben sind?

Hoffmann: In jedem Fall. Das freut mich immer wieder sehr: wenn Klienten bei uns plötzlich als zahlende Mitglieder im Boxclub auftauchen, weil sie erlebt haben, wie das Kämpfen-Können den Menschen sich selbst näher bringt.

KarriereSPIEGEL: Wann haben Sie das letzte Mal beim Coaching was auf die Nase bekommen?

Hoffmann: Das lasse ich fast jedes Mal zu, weil ich den Klienten zeige, was es heißt, einzustecken, um danach sofort weiterzumachen.

Durchschlagender Erfolg

Beim Box-Coaching sollen Manager ihre Angst vorm Angriff verlieren und lernen, harte Hiebe einzustecken

Die Gegend ist ein krasser Kontrast zur verglasten Bankenwelt der Frankfurter Innenstadt. Hier vor den Toren der Stadt, im Industriegebiet von Neu-Isenburg, reiht sich eine Autowerkstätte an die andere. Doch zweimal in der Woche parken vor dem schmucklosen Flachbau des Seishin-Kampfsportclubs polierte Limousinen, aus denen Banker, Börsianer, Anwälte und Manager steigen, um ihre Fäuste fliegen zu lassen.

Dann steigen sie in den Ring, zum so genannten Box-Coaching, einer neuen Spielart im Karrieretraining. Kai Hoffmann, promovierter Philosoph, Unternehmensberater und Protagonist der noch jungen deutschen Business-Box-Szene, ist selbst seit 25 Jahren Hobbyboxer. „Wie in kaum einem anderen Sport stößt man schnell an Grenzen, die Stärken und Schwächen sichtbar machen. Daher eignet sich Boxen hervorragend als Teil meiner Beratung”, sagt Hoffmann. „In einem normalen Beratungsgespräch kann der Klient hervorragend weiter seine Rolle spielen, ohne dass man ihn authentisch erlebt. ”

Kontern ohne Zögern

Mit Shorts und nacktem Oberkörper, schwitzend und ständig Attacken abwehrend, sehe die Sache schon anders aus, meint der Box-Coach. „Durch die spontanen, unreflektierten Reaktionen zeigt sich, was den Menschen im Beruf ausmacht. Denn jeder boxt_ so, wie er gestrickt ist. ” Daher hält er den Sport für ein „erstklassiges diagnostisches Instrument zur Selbsterkenntnis”. Sein Credo: Wer boxt, lügt nicht.

Doch die Manager dreschen nicht gleich drauflos – in der Hoffnung auf tiefere Erkenntnisse. Bevor sie sich Boxhandschuhe überstülpen, führt Hoffmann in seiner Praxis für Managementberatung ein ausführliches Gespräch über Absichten und mögliche Probleme. Erst danach werden die Anfänger behutsam in die Geheimnisse der Kampftechnik eingeführt – allein schon, um zu vermeiden, dass der Box-Neuling am Morgen danach mit einem Veilchen ins Büro stapft.

„Im Zweikampf lässt sich eine gute Analogie zum Arbeitsverhalten herstellen”, sagt Hoffmann. „Wie wird mit Aggressivität umgegangen, wie mit der Wut des Kollegen, wie ist es um das Selbstwertgefühl bestellt, die Selbstkontrolle, das strategische Verhalten? ” Typisch sei zum Beispiel der Manager aus der Versicherungsbranche, der sofort einknickte, wenn er in Verhandlungen auf Widerstand stieß. Der Trainer brachte ihm im Ring bei, zweimal ohne Zögern den Gegner zu schlagen. Effekt: „Der Klient hat gelernt nachzusetzen, auch wenn es Mut kostet”, sagt Hoffmann. „Entscheidend ist, die Erkenntnisse dann später mit den üblichen Coaching-Techniken in den Beruf zu übertragen. Das klappt gut, weil es sich um die archetypische Konfrontation Mensch gegen Mensch handelt”.

Wolf Rübner, selbstständiger Unternehmensberater, ist in den Ring gestiegen, um seine Konfliktfähigkeit zu verbessern. „Das Training half mir, mich besser durchzusetzen und Differenzen auszufechten”, sagt er. Eine direkte Folge: Rübner hat sich von seinem Geschäftspartner getrennt, ein Schritt, den er schon eher hätte wagen sollen. „Mir half, dass ich im Ring den Coach direkt angreifen kann, dass er sich zu wehren weiß und ich umgekehrt in der Lage bin, mich zu verteidigen, wenn ich angegriffen werde. So habe ich meine Beißhemmung verloren”. Dafür genügten drei Gespräche und zwei Box-Einheiten.

„Im Ring ist es nicht nur wichtig, hochkonzentriert zu sein, man muss vor allem im richtigen Moment kontern oder in die Offensive gehen – darauf kommt es auch in meinem Beruf an”, sagt ein Investmentbanker, der nicht genannt werden möchte. Obwohl der Boxsport in Deutschland zunehmend gesellschaftsfähig wird, wollen sich Führungskräfte nicht als Haudegen zu erkennen geben.

Es verwundert nicht, dass auch dieser Trend aus dem angelsächsischen Raum kommt. Dort heißt die Coaching-Variante „White Collar Boxing”, also Boxen mit weißem Kragen, wobei weniger die Psyche analysiert wird, sondern eher Aggressionen abgebaut werden sollen. Der Legende nach ist der Londoner „The Real Fight Club” (Slogan: „Vergiss‘ Golf”) bereits in den achtziger Jahren erstanden, weil die Vorstandsvorsitzenden einer Versicherung und einer Bank wutentbrannt bei einem Geschäftstreffen aufeinander losgehen wollten. Nur mit Mühe konnten Mitarbeiter die beiden zur Räson rufen und gemeinsam aushandeln, dass sie ihre Fehde offen und fair im Boxring austragen.

Taktik und Selbsterkenntnis

Daraus entstand der neue Ausgleichssport für Geschäftsleute. Der Real Fight Club zählt mittlerweile mehr als 1500 Mitglieder, meist Manager, die sich zuweilen in Nobelhotels zu Schaukämpfen treffen. Inzwischen hat sich sogar die International White Collar Boxing Association (IWCBA) gegründet.

Während es in England und den USA bei Schlipsträgern fast schon schick ist, tägliches Durchboxen im Ring zu simulieren, sind die Nachahmer in Deutschland noch rar gesät. Die Zeichen der Zeit erkannt hat auch der Traditionsclub Köln SC Colonia 1906, der sich gleich zwei spezielle Manager-Trainer leistet, die bereits 250 Führungskräfte im dreimonatigen Lehrgang unter ihre Fittiche genommen haben. „Bei uns finden sich vom Chefarzt über Ford-Manager bis hin zu Firmeninhabern alle möglichen Teilnehmer. Wenn sie nach dem Training unter der Dusche stehen, fühlen sie sich befreit”, sagt Colonia-Geschäftsführer Franz Zimmermann. „Viele Führungskräfte wollen so zudem ihr taktisches Denken und Handeln verbessern.”

Die gleiche Klientel hat auch die Münchner Boxfabrik im Blick. Doch das Wort Manager-Boxen führt man hier ungern im Mund. Schließlich gehe es beim Boxen um Eigenschaften, die man generell im Berufsleben gebrauchen könne. Trainiert werden alle, die nicht nur körperliche Fitness im Sinn haben, sondern sich auch für den Beruf stählen wollen. Denn Taktieren lernen und Finten schlagen sind Dinge, die nicht jedem in die Wiege gelegt worden sind.

Der Frankfurter Box-Coach Kai Hoffmann ist jedenfalls überzeugt, dass sein Führungskräftetraining auf Dauer durchschlagenden Erfolg haben wird. Denn schon der einflußreiche Box-Promoter Wilfried Sauerland wusste: „In zwölf Runden lernen sich Boxer besser kennen als so manche Menschen in zwölf Jahren Büro.”

Chris Löwer

Hier boxt der Chef

Man ahnte es, irgendetwas fehlte noch in der kunterbunten Welt der Managerweiterbildung. Führungstraining mit Pferden, Teamentwicklung im Wildwasser-Kanu, Selbstfindung im Zen-Kloster, Konflikte erkennen per Unternehmenstheater – alles alte Bekannte auf dem wachsenden Markt der Workshops und der dazugehörenden Ratgeberliteratur. Umso dankbarer nimmt man dieses Buch zur Hand, das den schlichten Titel „Boxen & Managen” trägt. Immerhin etwas Neues auf dem Modemarkt, und nichts Geringeres als „Praxisanleitung für Führungskräfte und alle, die geradlinig sein wollen.”

Dachten wir es doch: Ellenbogen reichen nicht mehr, im harten Wettbewerb heißt es Fäuste schwingen und den Konkurrenten mit der geraden Rechten ausknocken.

Zieht jetzt die neue Ehrlichkeit in die Chefetagen, spricht endlich einer aus, worum es aller Ethik- und Wertedebatten vor und hinter den Firmenmauern in Wirklichkeit geht? Nicht von ungefähr und zum Unmut wirtschaftsferner Zeitgenossen befleißigen sich Unternehmenslenker und ihre Beobachter sehr gerne und ausgiebig einer Sprache, die von Kampf- und Kriegsmetaphern nur so scheppert. Da werden feindliche Übernahmen geplant, weil die Kriegskasse gut gefüllt ist. Da muss die Kundenfront scharf ins Visier genommen werden, um die Stoßrichtung des geplanten Marketingfeldzugs zu sondieren. Die universitäre Jugend duckt sich schon vor dem Rekrutierungsschlachtruf der Personaler, die in den „Krieg um die Köpfe” ziehen.

Kein Wunder, basiert das backsteinerne Industrieunternehmen der Moderne und sein Management doch auf den Vorstellungen militärischer Führung und Hierarchie. Andererseits könnte man auch mit Fug und Recht behaupten, dass Menschen schon immer etwas zu managen hatten – Clans, Kuhherden oder Königspaläste -, lange bevor der Begriff dafür im 20. Jahrhundert in Umlauf kam. Und dass sich die Menschheit durchboxen musste, im Faustkampf Mann gegen Mann, seit der homo erectus zwei Hände dafür frei hatte.

Boxen und Managen also. Wenn man Autor Kai Hoffmann, Psychotherapeut, Philosoph, Boxer und Berater zuhört, mangelt es gerade Managern in Deutschland am rechten Durchboxwillen. In Amerika und England boomt das „White Collar Boxing” seit Jahren, findet aber auch in deutschen Führungsetagen langsam Zulauf.

So ganz uneinleuchtend klingt es nicht, wenn Hoffmann behauptet, die Erfahrungen aus dem Boxcoaching und den Wettkämpfen amerikanischer und englischer Firmen mit ihren Boxmannschaften im Ring machten klar, dass die Werte des Boxens pragmatischen Nutzen für das Management hätten: Würde, Präzision, Mut, Selbstverantwortung, Zielstrebigkeit, Siegeswille, Ehrlichkeit, Disziplin, Selbstbeherrschung, Beharrlichkeit, Selbsterkenntnis, Autonomie – der Boxring als Ort der Selbstfindung und Führungsseminar.

Gerade das Boxen stelle die Menschenwürde, so paradox es klingen mag, auf ein lebensnahes Fundament zurück. „Der Mensch im Ring, befreit vom Sachzwang unbeherrschbarer Produktionslogiken, erkämpft sich mit den Mitteln seiner Natur Freiheit und Authentizität zurück. Der Boxer hält, was ihm widerspricht, auf Distanz, er rechtfertigt das Leben, kämpft dafür und ist im Recht, weil er sich ganz auf das Leben einlässt – kämpfend und mit so viel Stil wie möglich”, meint Hoffmann. Das hört sich nun ganz anders an als es das verbreitete Klischeebild des laienhaften Beobachters vom rohen Brutalo-Sport vermuten ließe.

Warum es deutschen Managern gar nicht schlecht zu Gesicht stünde, öfter mal die Fäuste zu schwingen, legt die Beobachtung nicht nur des Autors nahe: sie hängen noch stark an Werten wie Sicherheit, Konvention und Sachlichkeit. Ihre Scheu vor aktiven Veränderungen macht sich täglich im Beharrungskult vieler Unternehmen bemerkbar. Veränderungen machten Angst, aber wer einmal in den Boxring gestiegen sei, lerne sekundenschnelle Veränderung und vor allem die Angst davor zu schätzen, wie der Beamte seine Arbeitszeiten. Da verwundert es nicht, dass das Boxen in Deutschland bis 1908 öffentlich strikt verboten war, während schon Mitte des 19. Jahrhunderts in England und Amerika Boxmeisterschaften ausgetragen wurden. In deutschen Chefetagen steht das Schattenboxen wohl nach wie vor höher im Kurs.

Neulich trafen wir wieder einmal einen bekannten Berater, der von einem Krisenherd zum nächsten hechelt und sich auch mal Luft machen muss. Sein Klagelied galt den monatlichen „Management-Revues”, in denen die Zahlenfriedhöfe der Vergangenheit in großer und teurer Führungsrunde durchleuchtet, Einzelne coram publico niedergemacht, undefinierbare und phantastische Prognosen über den nächsten Monat gewagt und eine Jahres-Hochrechungs-Graphik bewundert würden. „Was getan werden muss, um diese Zahlen zu erreichen, wird in den Meetings, an denen ich teilnehme, nie besprochen.” Wer aber keine klaren Vorstellungen von der Zukunft habe, könne seine Kräfte nicht synchronisieren, erfahre Anstrengungen als sinnlos, da im nächsten Moment wieder eine andere Richtung eingeschlagen wird. Der enervierte Berater sagt, zum nächsten Kriseneinsatz nehme er vorsichtshalber mal Boxhandschuhe mit.

Dagmar Deckstein

Sieg durch K.o.

Bislang wurden Manager angehalten, von Mäusen, Fischen, Pferden, Skifahrern, Golfspielern, Tennischampions, Läufern, Schwimmern, Radfahrern und Extrembergsteigern zu lernen. Nun sollen sie Boxchampions nacheifern. Denn Boxen stärkt angeblich entscheidende Führungsqualitäten wie Mut, Präzision, Siegeswillen, Disziplin und Beharrlichkeit.

Anders gesagt: „Von Muhammad Ali lernen heißt Chef sein lernen.”

Manager im Ring

Sie streben nach mehr als bloßer körperlicher Fitness. Manager, Anwälte, Banker – sie haben das Boxen für sich entdeckt. Denn Werte wie Durchsetzungsvermögen, Kampfgeist, aber auch Respekt vor dem Gegner und der richtige Umgang mit Niederlagen sind für Führungskräfte ebenso essentiell wie für den Boxer.

Die Kampfsportschule „Seishin”

Fernab der schillernden Bürotürme der Frankfurter City in einem Hinterhof mit angrenzender KFZ-Reparaturwerkstatt, in der lauthals in den verschiedensten Sprachen über Ersatzteile und Fußballergebnisse diskutiert wird, treffen sie sich zweimal die Woche: Banker, Manager, Berater, Anwälte. Sie alle kommen dienstags und donnerstags nach Feierabend in die kleine, etwas schwer zu findende Kampfsportschule „Seishin”, um beim Manager-Boxtraining mitzumachen. Keine schnieke Anlage mit modernsten Geräten, deren Namen allesamt mit „Cardio” anfangen und mit „deluxe” enden: Das „Seishin” ist ein echter Boxstall. Pokale und Auszeichnungen der hier trainierenden Boxer, Zeitungsartikel und Poster an den Wänden zeugen von den Erfolgen des Vereins, die Umkleide ist klein und zweckmäßig gestaltet und die Trainingshalle entspricht genau der Vorstellung all derer, die der „Rocky”-Generation angehören: die Wände mit Nut- und Federbrettern verkleidet, ein Boxring auf der einen Seite, sechs von der Decke hängende Sandsäcke auf der anderen. Hier ist alles authentisch: Besitzer Friedrich Meiss, den man fast immer in Arbeitskleidung und mit farbeverschmierten Händen antrifft, „weil es immer was zu werkeln gibt”, heißt mich ebenso herzlich willkommen wie Trainerlegende Horst Gauss, der zusammen mit Dr. Kai Hoffmann das Managerboxen durchführt. „Schuhe aus und los geht’s!”, heißt’s und ich betrete die Trainingshalle, um beim Training der Führungskräfte dabei zu sein…

„White Collar Boxing”

Bisher glaubte ich, dass die Macher und Entscheider es hierzulande vorziehen würden, auf dem Golfplatz ein paar Abschläge zu machen oder ihren Körper in einem der vielen schicken Fitness-Studios zu „shapen”. Weit gefehlt. Auch in Deutschland scheint sich zu etablieren, was bereits seit den 80er Jahren in den USA und England boomt: das „White Collar Boxing”, gemeint ist das Boxen der so genannten „White Collar Worker”, die man sonst nur im Business-Look und besagtem weißen Hemdkragen kennt. Begonnen hat alles im New Yorker Stadtteil Brooklyn, im ältesten Boxclub der USA, dem „Gleason’s Gym”. Der Legende nach sollen im Jahre 1988 David Lawrence, Doktor der englischen Literatur, und Richard Novak, Anwalt, gegeneinander in den Ring gestiegen sein. Bekannte und Kollegen schauten bei diesem Kampf zu. Nach einem Unentschieden gingen alle zusammen essen. Das war die Geburtsstunde des „White Collar Boxing”. Auch in England ist das Boxen unter Managern ein Riesenerfolg: Der bekannte „Real Fight Club” in London hat heute mehr als 600 aktive Mitglieder. Zudem werden regelmäßig „White Collar Box Events” vor über 100 Zuschauern veranstaltet. „So weit sind wir hier noch lange nicht”, erklärt Dr. Kai Hoffmann, während er seine Bandagen für das Manager-Boxtraining schnürt. „Die Deutschen haben eine ganz andere Mentalität als die Amerikaner oder Briten. Ein Schaukampf zwischen Kollegen oder sogar Geschäftskonkurrenten lässt sich hier kaum machen, die Hemmschwelle vor der öffentlichen Austragung eines Kampfes Mann gegen Mann noch zu hoch und auch der Kampfeswille fehlt.” Dennoch erfreut sich das Managerboxen, das er zusammen mit Horst Gauss durchführt, großer Beliebtheit.

Das Training der Manager

Es geht los: Aufwärmtraining. Unter der gemischten Trainingsrunde erkenne ich einige bekannte Gesichter aus der Wirtschaft. Unter anderem Peter Voss, Geschäftsführer der Voss und Fischer Veranstaltungsagentur und Thomas Bittong, Generalhauptvertretung der Allianz. Ob Jungboxer im Teenageralter oder Geschäftsmann: Alle müssen Runden laufen, auf Zuruf von Horst Gauss Schattenboxen und mit Tennisbällen ihre Koordination trainieren. Unterstützt und Ja: Training auch durch den erfahrenen Boxer Ulli Kaden, zweimaliger Europameister im Superschwergewicht der Amateure und der Mann, der als einziger jemals die kubanische Amateur-Boxlegende Teofilo Stevenson schlug. Der athletische Hüne sticht natürlich aus der Trainingsgruppe hervor und ich frage ihn war er vom Managerboxen hält: „Selbst wenn man es nur fitness-technisch betrachtet: Das Boxen ist wohl das vollkommenste Training, das es gibt. Und die Herren lernen hier alle richtig boxen. Wir zeigen ihnen Haltung, Technik, Koordination. Und ich selbst bleibe auch im Training.” Und wahrlich sieht das, was mir dargeboten wird, als die Gruppe zum richtigen Boxtraining übergeht und jeder einzeln zum Sparring zu Kaden in den Ring steigt, in meinen Augen ganz schön „professionell” aus. Horst Gauss ist stolz, als ich diesen Eindruck ihm gegenüber äußere. „Anders als Herr Hoffmann, sehe ich die Sache primär aus der pädagogischen Sicht des Trainers, schließlich mache ich das ja schon seit über 40 Jahren. Für mich ist es einfach toll zu sehen, wie Männer in den Vierzigern, die vielleicht nicht ganz so fit waren, als sie bei uns anfingen, richtige Fortschritte machen und wirklich Boxen lernen.”

Langsam wird’s heiß, der Schweiß fließt. Nach dem freien Sparring geht’s wieder rüber in den Aufwärmraum, wo die Sandsäcke und ein gut gelaunter Horst Gauss warten, der den schnaufenden Männern zuruft: „Los, quält euch!”. Der 68jährige scheint am wenigsten außer Atem zu sein, obwohl er bei allem mitmacht und sich zwischendurch noch die Zeit nimmt, mir einige Terminologien und Trainingstechniken zu erklären.

Boxen und Managen

Über das Managerboxen hinaus hat Dr. Kai Hoffmann das Potenial des Boxens für seine eigentliche Arbeit entdeckt: Der Doktor der Psychoanalyse und der Philosophie betreibt seit 1996 eine Praxis für Managementberatung, wo er neben Konflikt- und Motivationstraining auch das Boxcoaching anbietet. „Jeder boxt so, wie er psychisch gestrickt ist”, erklärt er. „Beim Boxen kann keiner sich in eine Rolle flüchten. Die Situation im Ring ist zu emotional, die Reaktionen sind zu spontan, um zu lügen oder etwas vorzutäuschen.” In seinem Buch „Boxen & Managen – Praxisanleitung für Führungskräfte und alle, die geradlinig sein wollen” wird genau erklärt, mit welchem Ziel er diese Form der Beratung speziell für Manager und Entscheider einsetzt und zu welchen Erkenntnissen er durch seine Arbeit kommt. So gibt es zum Beispiel ein Kapitel mit dem Titel „Die Stile – Der Mensch boxt, wie er führt, und er führt, wie er boxt”. Die Praxis: Um herauszufinden, wie jemand tickt, trifft sich Dr. Hoffmann drei Mal mit den Beratungswilligen zum Gespräch, zweimal steigen sie mit ihm in den Ring. Nachdem er ihnen im „Seishin” alles beigebracht hat, was sie über Schlag- und Schritttechnik sowie Verteidigung wissen müssen, und nachdem sie am Sandsack gelernt haben, richtig zuzuschlagen geht es mit Herrn Hoffmann zum Sparring in den Ring. „Da stehen sie dann, nicht mehr im Schutze ihres seriösen Anzugs und der Krawatte sowie ihres Jobtitels. Sie sind ganz auf sich allein gestellt”, schildert Hoffmann die Methode seines therapeutischen Ansatzes und erklärt, dass die Werte des Boxens sich mit den Werten überschneiden, die für Manager tagtäglich wichtig sind: „Durchsetzungsvermögen, Mut, Selbstvertrauen, Entschlossenheit, Disziplin, Siegeswille, Ehrlichkeit, Respekt, Selbstbeherrschung, Würde.” Viele dieser Werte, so Hoffmann, gingen mit der Zeit im Job verloren. Beim Boxen erkennt er, wie jemand führt, wie er charakterlich tickt, wie er mit Konfliktsituationen umgeht und vor allem auch, was seine Schwächen sind. „Beim Boxcoaching ist nicht bloß wichtig herauszufinden, ob jemand ein Angreifer ist oder ein Verteidiger. Eine Führungskraft kann von der Erfahrung profitieren, kann Stärken und Schwächen ausbalancieren und neue Strategien und Taktiken für den beruflichen und privaten Alltag entwickeln.”

Natalie Rosini

Box dich durch zu dir selbst

In New York wäre es 1989 fast zur Schlägerei in einer Chefetage gekommen. Zwei CEOs verfeindeter Versicherungsunternehmen saßen sich gegenüber, hassten einander bis kurz vor dem Kontrollverlust, schrieen ihre Wut unverblümt heraus und wollten gerade aufstehen, um loszulegen, da hielten ihre Assistenten sie zurück, nicht jedoch ihre Wut. Die beiden bestanden weiterhin darauf, sich die Köpfe einzuschlagen. Intuitiv wussten sie, zwischenmenschliche Konflikte lassen sich auf der Sachebene nicht lösen. Also verabredeten sie einen Kampf. Ort und Zeit wurden vereinbart und auch das Publikum stand schon fest, die Mitarbeiter ihrer Firmen. Es sollte ein denkwürdiges Ereignis werden. Jeder hatte sechs Monate Zeit, sich von Profis trainieren zu lassen, denn der Kampfgeist suchte das Fair Play professioneller Boxregeln im symbolischen Geviert des Lebenskampfes.

Am Tag der Entscheidung drängten sich über 1.000 Besucher um den Ring, ausnahmslos Kollegen und Firmenmitglieder. Die beiden CEOs legten los, technisch einigermaßen geschult und mit semiprofessionellen Taktiken mental fit gemacht. Der Kampf war hart, Blut floss. Danach, die Wut war weg, kam’s zum Schulterschluss der beiden Männer und zur Gründung einer Tradition des The Real Fight Club, der sich bis heute, organisiert und gesponsert von Millionären und Firmenbossen, zu einem der er-folgreichsten Sportereignisse im internationalen Management-Sport entwickelt hat. Chefs großer Firmen aus New York und London trainieren oft täglich wie besessen im Boxring und treten jährlich mit dem Gefolge ihrer Mitarbeiter zu Boxkämpfen an, von deren Presse- und Medienecho mancher Boxkampf-Promotor nur träumen kann.

In Deutschland sind Manager von solchen Ereignissen schnell fasziniert, doch bleibt ihre Mentalität (noch) stark an Werten wie Sicherheit, Konvention und Sachlichkeit orientiert. Das Andere, das fasziniert, auch selber zu wagen, gliche dem Sprung eines Theaterzuschauers auf die Bühne. Die Scheu vor aktiven Veränderungen macht sich tagtäglich im Beharrungskult vieler Wirtschaftsunternehmen bemerkbar. Veränderungen machen Angst – damit entsprechen sie dem Leben weit mehr als der Stillstand. Wer einmal in den Boxring gestiegen ist, lernt sekundenschnelle Veränderung und vor allem die Angst davor schätzen, wie der Beamte seine Arbeitszeiten. Das konservative Festhalten am Gewohnten verzögerte in der deutschen Geschichte natürlich auch das Boxen. Als bereits Mitte des 19. Jahrhunderts in England und Amerika Boxmeisterschaften ausgetragen wurden, blieb das Boxen in Deutschland bis 1908 öffentlich strikt verboten und wurde bei Zuwiderhandeln geahndet.

Nun ist das Boxen alltäglich geworden, weil dieser Sport dem Leben zutiefst verpflichtet ist. Doch selbst nach dem jüngsten Box-Boom von Maske, den Klitschkos oder Ottke zollt die Führungsriege deutscher Unternehmen dem Boxkult nur vorm Fernseher, durch gelegentliche Boxkampfbesuche (Vip-Lounge) und allenfalls mit Incentive-Highlights ihrer Firmenveranstaltungen Respekt und Interesse; die innige Verbindung zwischen Management und Boxen wird erahnt, authentisch gelebt wird sie noch nicht. Dabei pilgern Manager seit Jahren ins Boxcoaching, Firmen kombinieren ihr Führungskräftetraining mit psychologisch gecoachtem Boxtraining, doch sind das noch Ausnahmen.

Boxen ist realistisch und magisch zugleich und also immer auch eine Metapher für etwas jenseits des Boxens. Natürlich, Boxen steht zuerst einmal für den Kampf zweier Menschen um einen Sieg nach Regeln, für die Karriere und einen Haufen Geld. Doch ein Boxkampf versinnbildlicht auch Grenzerfahrungen, Grundelemente („schlagende” Augenblicke) des Lebens, die gerade in einem Kampf – und vielleicht erst hier – prägnant werden. „Ich habe keine Zeit”, ein Standardsatz viel beschäftigter Manager, wenn sie etwa von Ehefrauen oder Freunden privat beansprucht werden, ist eine Kapitulationserklärung. Wer will, kann auch. Und wer dem Menschlichen in seinem Leben keine Zeit-Chance mehr gibt, versäumt sein Selbst. So ist die Zeit der Zeit-Gurus angebrochen.

Gegen den Zeitverlust menschlichen Lebens gerade im oberen Management kursiert eine Werte-Diskussion um den gefährdeten Sinn individuellen und gemeinschaftlichen Lebens. Die Erfahrungen aus dem Boxcoaching und den Wettkämpfen amerikanischer und englischer Firmen mit ihren Boxmannschaften im Ring machen klar, dass die Werte des Boxens pragmatischen Nutzen für das Management haben: Würde, Präzision, Mut, Selbstverantwortung, Zielstrebigkeit, Siegeswille, Ehrlichkeit, Disziplin, Selbstbeherrschung, Beharrlichkeit, Selbsterkenntnis, Autonomie. Welche Führungskraft wollte bestreiten, dass diese Werte nicht auch für sie maßgeblich sein können?

Gerade das Boxen stellt die Menschenwürde, so paradox es klingen mag, auf ein lebensnahes Fundament zurück. Der Mensch im Ring, befreit vom Sachzwang unbeherrschbarer Produktionslogiken, erkämpft sich mit den Mitteln seiner Natur Freiheit und Authentizität zurück. Der Boxer hält, was ihm widerspricht, auf Distanz, er rechtfertigt das Leben, kämpft dafür und ist im Recht, weil er sich ganz auf das Leben einlässt – kämpfend und mit so viel Stil wie möglich. Der Boxer verkörpert die Art des Lebens, vor der ein Mensch nicht entfliehen kann, vor sich selbst und der Gegenwart einer Gegnerschaft nicht. Geht es einem Firmenchef anders?

Ein Vorstandsvorsitzender steht oben, und wer ganz oben steht, kann kaum noch höher streben, sondern nur erfolgreich bleiben oder – fallen. Zum Erfolg verdammt, heißt die einzige Alternative oft: scheitern. Das zu verhindern mit Geschick, politischer Strategie und visionärem Weitblick ist das eine, mit der Gipfeleinsamkeit einer fragilen Balance persönlich umgehen zu können, etwas anderes. Das ist der Stock-Punkt („stuck point”) aller Führungskräfte: Wie werden wir mit der harten Realität fertig und können gleichzeitig menschliche Werte bewahren? Wie halten wir Stabilität und Wechsel (das Gesetz des Boxens schlechthin) im Gleichgewicht? Nach dem Prinzip Führen heißt Einfluss nehmen ist sich jeder Profiboxer im Klaren: Mit meiner inneren Einstellung bestimme ich in jedem Bewegungsmodul das äußere Kampfgeschehen, weil Boxen „durch den Kopf geht.”

Im Ring bleibt die Welt draußen – und wird doch im hoch intensiven Moment hundertfach vergrößert: Sinnbild unvorhergesehener Veränderungen und Schnelligkeiten und ihrem Gegenpol, des Bleibenden, des Seins. Boxen und Management fordern den Menschen in seinen Grundhaltungen zu sich selbst und dem Leben heraus. Im Konflikt spricht der Charakter Tacheles. Jederzeitige Auflösung alles Bleibenden – und doch kreisend um den ewigen Kern menschlichen Seins, das ist es, was im geregelten Ring geschieht wie im freien Leben. Wer von „Changemanagement” etwas lernen will, kann dem Kampf im geschlossenen Geviert viel abgewinnen. Der Wandel ist die größte Herausforderung; jedoch begegnen ihm zu viele Führungskräfte nur technisch.

Der Boxer tritt auch einen Kampf gegen den „Bio-Analphabetismus” an. Manager, die ausgebrannt zum Coach wanken, haben oft keinen blassen Schimmer von dem, was ihr Körper im jahrelangen Stress an Warnsignalen ausgesendet hat. Im Boxboom kündigt sich eine Renaissance menschlicher Werte an im Abgesang auf den undisziplinierten Hedonismus der letzten Jahrzehnte. Die Selbsterhaltungstechniken des Körpers obsiegen – hoffentlich – über die Entfremdungstechniken entseelter Fortschrittsroutinen. Die Ressource der Zukunft im modernen Management ist der Mensch, und zwar gegen die Tyrannis der Konformität. Ein Sport, dessen Wettkampf das Ende einer physischen wie psychischen Existenz bedeuten kann, berührt den Grund eines Menschenlebens. Wir dürfen nicht unterschlagen, dass Boxen der einzige Sport ist, bei dem der Tod kein Zufallsmoment, wie etwa beim Autorennsport, bleibt. Der Tod ist beim Boxkampf nicht beabsichtigt – auch wenn manche Kämpfer vom „Killen”, „Töten”, „Umbringen” faseln. Sie tun das meist nur, um sich Mut einzureden. Dennoch: Der Tod als – im philosophischen Sinn – Extrempunkt der Vergänglichkeit, um den etwas von Ewigkeit weht, fegt zwischen den Boxschlägen wie eine Drohung knapp mit.

„Seit ich boxe, habe ich ein Selbstvertrauen und eine innere Ruhe gekriegt, was selbst meinen Kollegen auffällt”, gesteht der Personalleiter einer Schweizer Versicherungsgesellschaft, nachdem ihn das Boxcoaching aus seiner defensiven Grundhaltung befreit hat. „Als ich zum ersten Mal im Ring stand und den Gegner auf mich zukommen sah, das war wie in meiner Jugend, als ich vor meinem Bruder immer zurückstecken musste, weil er der Liebling meiner Eltern war”, erinnert sich ein Geschäftsführer, „das Boxen hat mir endlich wieder meine Angriffslust zurückgegeben.”

Wir suchen die eigenen Ursprünge wie eine verlorene Kindheit, ob in den Ruinen unserer Träume, den Fehlleistungen des Alltags oder im Schauer der Angst hinter den Seilen. Diese Angst hat die Absicht des Tötens längst überwunden, wenngleich sie den Tod als Gefahr und Metapher immer noch streift. Gerade im Management der Führungsetagen spielt Angst eine so große Rolle, dass sie für viele Fehlentscheidungen festgemacht werden kann. Doch in solchen Fällen war Angst immer nur heimlich, verdeckt, maskiert, verleugnet wirksam. Wer gibt schon vor Kollegen seine Angst zu, wenn er ein Unternehmen mit Hunderten von Angestellten sicher leiten soll. Aber gerade diese Verschlossenheit, der persönliche Zwang zur offiziellen Kulisse, potenziert die Angst im Teufelskreis, und hier beginnt das Denken irrational zu werden, beginnt mancher Fehler. Das Boxen lehrt, sich dieser Angst zu stellen, mit ihr zu kämpfen – nicht gegen sie, sondern mit ihr. Es geht nicht darum, sie zu erklären. Es geht darum, sie einzusetzen. Die Angst, einer der ältesten Evolutionsfaktoren, kann konstruktiv werden, wenn sie kognitiv mit selbst gesetzten Zielen gekoppelt wird. Wenn wir sie in die Hand nehmen. In die Fäuste. Ins Herz. In den wachen Blick.

Dr. Kai Hoffmann

Boxen & Managen

Boxen ist Sport, aber kein Spaß. „Ein Boxer”, so schreibt die amerikanische Schriftstellerin Joyce Carot Oates, „bringt alles in den Kampf ein, was er ist, und alles wird sich erbarmungslos zeigen, auch das Geheimste, was nicht einmal er selbst über sich weiß.”

Vor diesem Hintergrund leuchtet Kai Hoffmanns Idee sofort ein, das Boxen zum Ausgangspunkt eines psychoanalytisch grundierten Management-Trainings zu machen. Ein erfahrener Boxtrainer lernt aus dem Verhalten seines Schülers im Ring sehr schnell sehr viel über dessen Charakter. Ein boxender Manager offenbart, schreibt Kai Hoffmann, „unweigerlich Verhaltensmuster und die dahinter liegenden seelischen Strukturen”. Und auf dieser Grundlage läßt sich dann aufbauen.

Denn, so lautet das sympathisch aufklärerische und freudianische Credo des Buches, erst wenn man sich über die eigenen psychischen Voraussetzungen klar geworden ist, kann man sie zu verändern beginnen. Und wer die eigenen Stärken und Schwächen kennt, hat nicht nur größere Chancen im beruflichen Wettbewerb, sondern – so zeigt Kai Hoffmann – er eignet sich auch in weitaus höherem Maße dazu, seine Mitarbeiter zu führen.

Uwe Wittstock

Mehr Kampfgeist wagen

In: Die Welt, Dez. 2003

Es klingt wie von fernen Zeiten her: „Was immer du tun kannst oder wovon du träumst – fange es an. In der Kühnheit liegt Genie, Macht und Magie.”

Was Goethe als Zauber des Anfangs beschrieb, ist einer der wichtigsten, über aktuelle Existenz und weiteres Schicksal entscheidenden Momente des Menschen. Und er ist selbst Schicksal, das Fatum unserer Freiheit – der kostbaren Freiheit, einen Anfang zu machen. Dieser Moment ist dann da, wenn der Mensch Vergangenes überwinden, Gewohntes verändern oder Neues erschaffen möchte. Und dieser kühne Moment ist nichts beiläufig Konfuses – mal da und mal nicht. Er ist tief verankert im Spieltrieb des Menschen. Jedes Menschen.

Es kann auch ruppiger sein – ruppig und zäh wie das Herz eines Boxers. In einem Kampf, kräftezehrend weit fortgeschritten, sei nichts schwieriger, so haben es die Brüder Klitschko einmal gesagt, als nach dem Gong des Pausenendes „vom Hocker aufzustehen, um sich in der Mitte des Rings dem Gegner zu stellen”. Diese Selbstüberwindung „um jeden Preis” erfolgt aus dem kämpferischen Prinzip freien Willens heraus. Der Mensch muss nicht. Er möchte auch nicht. Er ist ausgelaugt und nahe am Ende seiner Kraft. Und tut es doch. Steht auf und geht in den Ring.

Es ist wahr: Das Ungestüme des menschlichen Genius bleibt leider nicht so vital wie am Anfang des Lebens. Äußere und innere Blockaden engen es bald ein. Parolen des Anstandes, der Ordnung, der Kontrolle und Konformität drohen dem Menschen permanent, ihn vom Unikat zum Unisono zu drillen. Einige kommen davon und erkämpfen sich ihren Lebensraum. Einige trifft’s. Sie geben, an ihrem Selbst zweifelnd, dem Konformitätsdruck nach. Hier beginnt das Drama vieler Existenzen: Denn der Kampfgeist dieser Menschen erlischt ja nicht einfach, er geht in den Untergrund und bekämpft dort mit invertierter Energie den Menschen selbst. Mutlos, reaktiv und passiv geworden, „frisst das Ich sich selber auf” (Freud). Also aufgepasst, wenn Kampfgeist ins Stocken gerät!

Reden wir noch einmal vom Boxen. Der Boxer entscheidet in jeder Sekunde, alles neu beginnen zu können, er gibt (oder nimmt) sich diese Freiheit mit allen Konsequenzen. Der Boxer spürt in jedem Augenblick, was gut oder schlecht für ihn ist und entscheidet danach. Der Boxer schaltet permanent um, er geht statt des Weges der Fremdbestimmung den Weg der Freiheit – aber nicht einer illusionären, geträumten Freiheit, sondern einer, die er mit ganzem Einsatz erringt und die durch die Fremdeinwirkung des Gegners immer auch ein Weg der Notwendigkeit ist. Dieser Kampfgeist ist dem Menschen angeboren, man beobachte nur Kleinkinder, mit welcher Instinktsicherheit sie Räume erobern und ihren Raum dann verteidigen. Wer oder was zwingt uns, diesem Prinzip untreu zu werden?

Im Management von Wirtschaftsunternehmen kann es die immense Komplexität ganz unterschiedlicher Einflüsse sein: fremdbestimmte Arbeitsabläufe, unübersehbare Wirkungsketten der eigenen Handlungen, hierarchische Machtgefüge, Anerkennungsmechanismen – aber auch hohe Ich-Ideale der Karriere, die zu Selbstverleugnung, Selbstzweifel und notorischem Zaudern führen können. Wer will da noch individuellen Kampfgeist entwickeln und frei handeln? Erfolgreiche Unternehmensführung ist aber ohne Kampfgeist kaum möglich. Kühnheit treibt die Dinge voran, sie macht Unwahrscheinliches möglich: Nicht gleich auf Nummer sicher, sondern eher aufs Ganze gehen. Spielst du mit halbem Einsatz, verlierst du leicht, wagst du hingegen alles, gewinnst du schon eher.

Kampfgeist kommt nicht aus heiterem Himmel. Er erfordert kontinuierliches Training und wird meist erst im Kampf selbst gewonnen. Sein Fundament aber ist Selbstvertrauen, dieses Tiefengefühl innerer Kohärenz und Stabilität, einer Immunität des Selbst, von etwas unvergleichlich Individuellem, letztlich Unangreifbarem.

Wer um den Sieg im Ring, um die letzte Etappe eines Projekts oder um die nächste Stufe der Karriere kämpft, letztlich also um sein Leben, so, wie er es nun einmal leben möchte – der sollte sich nicht an fremden Maßstäben messen und sich schon gar nicht mit denen des Gegners vergleichen. Eine große Gefahr für die Selbstachtung und den Wagemut zuversichtlichen Handelns ist der innere Zwang, sich mit anderen Menschen zu vergleichen – es kommt tendenziell immer Selbstabwertung dabei heraus.

Besonders in hierarchisch organisierten Arbeitsverhältnissen kämpfen Manager fast täglich mit Gefahren für ihre Selbstachtung. Reflexbereit geben sie oft dem fremdgesteuerten Anerkennungsgehabe nach, ducken sich weg, gehen in Deckung. Die Immunität des eigenen Selbstseins als Bedingung kämpferischen Handelns – vielen ist das nur ein Traum, eine Sehnsucht.

„Komm her, du Dummkopf, versuch es doch, mich zu erwischen. Das schaffst du nicht, weil du nicht weißt, wer ich bin.” Das ist der – zugegeben noch ruppigere – Sound von Muhammad Ali. Sein Selbstbewusstsein, sein Schutzschild. Oft blinkte er seine Gegner halb blind; es gilt als das Geheimnis des Champions. Diese Gewissheit seines Selbst, die Ali einst siegessicher voraus sagen ließ, in welcher Runde sein nächster Gegner k.o. gehen würde, wirkt noch heute auf Boxer kämpferisch motivierend. Aus solchem Selbstvertrauen entsteht der lebenswichtige Impuls, selbstbewusst kämpfen zu können.

Die tiefe Selbstakzeptanz menschlichen Seins (statt sichtbaren Habens) macht den Unterschied aus zwischen Menschen, die unerschütterlich sich selbst vertrauen und denen, die unter fremden Einschätzungen groß geworden sind – und es ist keine Nebensache, es ist ein Unterschied ums Ganze. Denn die Welt ist nun mal nicht als Schmusekurs planbar, wie innig das Harmoniestreben dem Menschen auch eingeboren sein mag. Manager berichten im Coaching immer wieder von euphorischen Augenblicken, wenn sie in schwierigen Konfliktsituationen gegen ihr Harmoniebedürfnis ihren Kampfgeist mobilisierten. Es ist ein Sieg über die eigene Furcht und Lethargie. Der Mensch entscheidet, welche Wege er gehen will, und geht er andere, als die er gehen will, dann folgt er eben fremden Zwängen und wird gegangen. Hierzu aber hat er sich letztendlich auch entschieden. Die Erkenntnis, selbst wählen zu können, ist ein erster Mentalschritt: Ich bin für mein eigenes Handeln verantwortlich. Die entscheidenden und damit verändernden Schritte im Leben steigen über jene bequemen Furchen hinweg, welche die Spuren menschlicher Wiederholungszwänge gezogen haben. Die Freiheit des Menschen liegt darin, wählen und sich entscheiden zu können – wenn er denn will.

Boxen ist, weit mehr als das Management es sein kann, ein Akt vollendeter Selbstbestimmung. Was Führungskräften auf Grund ihrer massiven Fremdbestimmung durch die Arbeitsprozesse eher selten gelingt: über sich selbst und ihren innersten Selbstmut verfügen und bestimmen zu können – das vermag der Boxer mit jedem Kampf, ja selbst in jeder Kampfetappe von neuem. Jede Schlagkombinationen oder Schrittfolge, jeder Angriff oder auch Rückzug setzt einen Anfang möglicher neuer Kampfwendungen. Jedes Durchatmen zu diesen Anfängen taucht kurz ins Selbst zurück und holt die Kraft der Zuversicht von dort her. Hier können Führungskräfte vom Boxer etwas Entscheidendes lernen: Die Kraft und Flexibilität zur ultraschnellen Selbstmobilisierung. Es gibt die Zeit zum Selbstzweifel (die Aus-Zeit aller Zuversicht), und es gibt die Zeit zu kämpfen. Aber beides zu seiner Zeit. Jetzt heißt es boxen. Der Selbstzweifel wird mental ausgeschaltet, Kampfgeist und Willenskraft bleiben wie Doppelsehnen eines Bogens zum Ziel des Erfolges hin angespannt, soll die Schmach der Niederlage, die in jeder Sekunde lauert, vermieden werden.

Im Arbeitsalltag sind es oft gar nicht einmal die extremen Situationen, in denen Menschen vorzeitig aufgeben wollen, sondern solche, denen etwas Belangloses anhaftet. Ein Streit mit Kollegen, die Ablehnung eines Projektschrittes, Verzögerungen in der Kommunikation, der ablehnend wirkende Blick eines Vorgesetzten – solche kleinen Dellen im Gehäuse unserer Lebensmobile können demotivieren und zur Kapitulation führen. Hier geht etwas verloren. Die emotional geladene Spannkraft zwischen motivierenden Werten und selbst gesetzten Zielen.

Wer die Zuversicht ins eigene Gelingen immer wieder und wieder trainiert – und Selbstvertrauen lässt sich trainieren -, der mobilisiert nichts anderes als die Ressourcen menschlichen Seins. Der Boxer ist ein Bild dafür. Und ein Weg, den heute nicht wenige Manager gehen.

„Wir verlieren alle mal im Leben. Man verliert seine Frau, man verliert seine Mutter. Wir haben Verluste, und was man tun muss, ist weiterleben, die Verluste überwinden und wieder aufstehen. Man kann sich nicht hinlegen und sterben, weil man verloren hat.” (Muhammad Ali)

Es geht nicht darum, den anderen platt zu walzen

Was ein gut platzierter rechter Haken mit Schlagfertigkeit im Job zu tun hat, erfahren Manager beim Box-Coaching. Dazu müssen sie aber auch selbst in den Ring steigen.

Sie haben Schlaghemmung oder können Ihre Angriffswut nicht zügeln? Dann schaffen Sie Ihren geliebten Golfschläger endlich in den Keller und steigen künftig besser in den Boxring. Manager können mit einem gut platzierten Haken zum Kinn nicht nur ihr Gegenüber k.o. schlagen, sondern vom sportlichen Ringkampf auch beruflich profitieren – das behauptet der deutsche Box-Coach Kai Hoffmann. Für drei Beratungen auf der Couch und zwei Sitzungen im Boxring verrechnet er knapp 1.000,- Euro. Kostenlose Tipps gibt er im Interview.

Wirtschaftsblatt: Herr Hoffmann, die klassische Frage: Was können Manager von Boxern lernen?

Kai Hoffmann: Im Konfliktverhalten des Boxkampfs kann ein Manager sich kennen lernen. Boxen reaktiviert Werte wie Mut, Zielstrebigkeit, Entschlossenheit, Schlagfertigkeit, Selbstvertrauen. Mit diesem Wiederentdecken von Kräften lässt es sich im Beruf ganz anders agieren. Ich erreiche, dass die Klienten die Scheu vor Konflikten und Angst vor Niederlagen verlieren.

Wirtschaftsblatt: Ein Beispiel bitte…

Kai Hoffmann: Wer im Boxring k.o. geht, erkennt, dass das so schlimm gar nicht ist. Ich sage immer, wer einmal am Meeresgrund war, wird Pfützen überleben. Beispiel Durchboxen im Alltag: Was hindert mich im Alltag daran, meine Ziele zu erreichen, und warum hindert mich das beim Boxen nicht? Viele reden sich ständig ein, was passieren könnte und was nicht. Wenn ich mich durchboxen will, muss ich mit Konflikten rechnen.

Wirtschaftsblatt: Also sollten Manager künftig ihre Zeit besser im Ring als auf dem Golfplatz verbringen?

Kai Hoffmann: Golfen hat eher etwas mit Durchatmen zu tun – und es ist schick. Aber sie erfahren sicher nichts über ihr Konfliktverhalten, ihre Grenzen und ihr Selbstvertrauen, wenn sie angegriffen werden.

Wirtschaftsblatt: Was muss ich mir unter einem Box-Coaching vorstellen?

Kai Hoffmann: Es wird geboxt und es gibt Coachinggespräche. Da tauchen dann Fragen auf wie: Warum kann ich im Ring so offensiv sein, mich aber im Beruf nicht durchsetzen? Das Seminar in Wien ist das erste offene Seminar, das ich abhalte.

Wirtschaftsblatt: Inwieweit lässt sich die Boxpraxis, auf jeden Angriff mit einem Gegenschlag zu reagieren, überhaupt sinnvoll in der Managementpraxis umsetzen?

Kai Hoffmann: Die Technik des Konterns muss ich einmal in der Praxis gespürt haben. Ich muss merken, wie schnell ich auf einen Schlag mit einem Gegenschlag reagieren kann. Der Angreifer ist immer eher auf Abwehr und Verteidigung gefasst, aber nicht auf einen Gegenschlag. Viele Manager stecken zu viel ein, wenn sie angegriffen werden. Natürlich muss man nicht auf alles reagieren, aber man sollte lernen, auf solche Angriffe so schnell es geht zu reagieren. Diesen Mut, einen Angriff auch zu parieren, lernen sie beim Kontern im Boxen. Da hat das geklappt, da hatten sie Mut, das zu tun, warum nicht auch in der Praxis?

Wirtschaftsblatt: Das heisst aber nicht, ich lerne das einmal im Boxring und bin dann ein anderer Mensch…

Kai Hoffmann: Natürlich sind die Wesenszüge eines Menschen nicht durch ein paar Runden im Ring zu verändern. Boxen ist nur ein Zugang, um die Veränderung anzustossen. Dranbleiben lautet die Devise. Erst nach dem zwanzigsten Mal werden sie anders reagieren.

Wirtschaftsblatt: Was können angriffslustige Manager im Boxring lernen?

Kai Hoffmann: Dass sie ihre Aggressionen nicht runterschlucken, sondern sich mehr auf ihre Gegner einlassen sollen. Solche Menschen haben in der Regel eine schlechte Empathie, aber das genau muss ein Boxer können. Es geht nicht darum, den anderen platt zu walzen, ich muss mich auch auf die Taktik des anderen Ausrichten.

Das Interview führte
Kathrin Gulnerits

Seismograph der Seele

Kaum ein Sport ist so klischeebeladen wie das Boxen. Entweder weiden sich die Autoren am brutalen Kampf Mann gegen Mann. Oder der Boxer wird – wie etwa in den Rocky-Filmen – als einsamer Held romantisiert.

Der Führungskräftetrainer und frühere Journalist Kai Hoffmann verzichtet in seinem Ratgeberbuch „Boxen & Managen” weitgehend auf solche Stereotype. Nüchtern reflektiert der Autor, warum sich immer mehr Manager nach Feierabend gepflegt prügeln. Vor allem in New York und London hat sich eine boxende Managerkaste herausgebildet. Hoffmann, selbst Boxer, analysiert die Parallelen zwischen Ring und Konferenztisch. Seine These: Boxende Manager sind im Job besser. Der Boxstil, schreibt er, sei ein „Seismograph der Seele”. Unbewußte Führungsschwächen kommen im Ring überhaupt erst zu Tage. Zudem habe die richtige Balance von Angriff und Verteidigung, das Wegducken, Zuschlagen, Abwehren, Verlieren und natürlich das Siegen im übertragenen Sinne viel mit den täglichen Anforderungen an einen Manager gemein. Der Leser lernt hier anschaulich, wie man zunächst ein besserer Boxer und dann auch eine bessere Führungskraft wird.

Einziges Manko: Die stark psychoanalytisch aufgeladene Argumentation. Etwas mehr Muhammad Ali und etwas weniger Sigmund Freud hätte dem Buch gut getan.